Serie: “Der physiologische Moment”
Zusammenfassung
Dieser Artikel beschäftigt sich mit den Determinanten des venösen Rückstroms und den verschiedenen physiologischen Einflussgrößen.

© St. Vinzenz Krankenhaus, Zams
von Prim. Univ.-Prof. Dr. Walter Hasibeder, Abteilung für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Krankenhaus St. Vinzenz Zams
In den Eigenschaften des venösen Systems liegt die enorme Anpassungsfähigkeit des menschlichen Körpers an Herz-Kreislauf-Stress, wie zum Beispiel schwere körperliche Arbeit, Hitze, Hypovolämie, Stehen und den aufrechten Gang, begründet [1].
Im Liegen generiert das menschliche Herz einen arteriellen Mitteldruck von etwa 100 mm Hg, der venöse Druck im rechten Vorhof liegt um 5 mm Hg und der periphere Venendruck etwa um 15 bis 20 mm Hg. Das bedeutet, dass der für den venösen Rückstrom und damit für das Herzminutenvolumen verantwortliche „driving pressure“ (DP) maximal 10–15 mm Hg beträgt. Im Stehen befinden sich 75 % des gesamten Blutvolumens unterhalb des Herzens und zahlreiche Mechanismen wie zum Beispiel:
- suffiziente Venenklappen, die einen unidirektionellen Blutfluss erlauben,
- die Skelettmuskulatur der Beine, deren Kontraktion venöses Blutvolumen in Richtung Herz befördert,
- die Atempumpe, die in der Inspiration durch Negativierung des Pleuraldrucks einen Sogeffekt auf die großen Venen ausübt und
- das Zwerchfell, das in der Inspiration durch äußeren Druck auf die Leber das Blut aus Lebersinusoiden zum Herzen führt,
sind für die Aufrechterhaltung eines ausreichenden venösen Rückstroms zum Herzen verantwortlich.
Dennoch kann es, zum Beispiel bei längerem Stehen und Vorhandensein zusätzlicher Stressoren wie etwa Hitzebelastung, zur Abnahme des kardialen Preloads, zum Abfall des Schlag- und Herzminutenvolumens, zu Mangeldurchblutung des zentralen Nervensystems, Bewusstlosigkeit und Herz-Kreislauf-Kollaps kommen [2].
Die Bedeutung des venösen Systems zeigt sich bei der Betrachtung der Verteilung des Blutvolumens in unserem Gefäßsystem: 15 % befinden sich jeweils im Thorax und in den großen Arterien, 5 % in den Kapillaren, 50 % in kleinen Venen und Venolen und zirka 15 % in den großen Venen. Die venöse vaskuläre Kapazität (= transmuraler Venendruck/Blutvolumen), der Kehrwert der vaskulären Compliance in den einzelnen Organstromgebieten, ist dabei die treibende Kraft für den venösen Rückstrom und damit das Herzminutenvolumen.
Der Venendruck
Abb. 1 zeigt die Druck-Volumen-Beziehung in einer isolierten Vene. Die Compliance-Kurve hat eine sigmoidale Form. Ist die Vene mit Flüssigkeit gefüllt und hat eine runde Form erreicht, benötigt es zunehmend höhere Drücke, um das Venenvolumen zu steigern. Das besondere an der Kurve zeigt sich erst bei Abnahme des venösen Füllungsvolumens: Die Compliance-Kurve schneidet die Y‑Achse weit oberhalb des 0‑Punktes. Das bedeutet, dass selbst bei einem transmuralen Venendruck von 0 die Vene noch mit Flüssigkeit gefüllt ist. Dieses Volumen beim 0 transmuralen Venendruck (V0) wird in der Physiologie als „unstressed“ Volumen bezeichnet und kann durch Compliance-Änderungen, zum Beispiel unter Einfluss eines erhöhten Sympathikotonus (Venokonstriktion), für die Zirkulation mobilisiert werden [1, 3].

Der mittlere systemische Füllungsdruck und das „Badewannenmodel“
Im Jahr 1954 prägte Guyton bei Experimenten an einem denervierten Tiermodell den Begriff des mittleren systemischen Füllungsdrucks (Pmcf) [4]. Zirka 5–8 s nach Eintreten eines Herz-Kreislauf-Stillstands kommt es, noch bevor Flüssigkeitsverluste aus den Gefäßen in das Interstitium stattfinden, zu einem Druckausgleich über alle Gefäßabschnitte (Arterien, Kapillaren, Venolen, Venen). Der dabei gemessene Druck wird als Pmcf bezeichnet und hatte eine Größe von 7 + 2 mm Hg. Guyton konnte in seinem Tiermodell, in dem er den rechtsatrialen Preload unabhängig vom restlichen Herz-Kreislauf-System manipulieren konnte, eindrucksvoll zeigen, dass die Differenz zwischen Pmcf und rechtem Vorhofdruck (PRA) die treibende Kraft für den venösen Rückstrom und damit für das Herzminutenvolumen ist [4, 5].
Somit kann der venöse Rückstrom zum Herzen und damit das Herzminutenvolumen als Funktion der Druckdifferenz (Pmcf – PRA) und dem venösen Gefäßwiderstand (RV) dargestellt werden [6]:
Venöser Rückstrom (VR)=(Pmcf −PRA)/RV
Das Badewannenmodel von Magder und Varennes zeigt, dass der Pmcf keinesfalls als eine Art statische Größe gesehen werden darf, sondern sich entsprechend den Anforderungen an das Herz-Kreislauf-System verändern kann (Abb. 2; [6]). Das venöse System ist in diesem Modell als Badewanne mit einem höher liegenden Abfluss und einem beweglichen Badewannenboden dargestellt [6]. Die hydrostatische Druckdifferenz zwischen Flüssigkeitsoberfläche und der Höhe des Abflusses (PRA) bestimmt das aktuelle zirkulierende Blutvolumen („stressed volume“). Das unter dem Abfluss liegende Flüssigkeitsvolumen („unstressed volume“) kann bei Bedarf durch Anheben des Badewannenbodens (= Abnahme der venösen Compliance) mobilisiert werden. In der In-vivo-Situation entsprechen stressed und unstressed Volumen venösen Gefäßbereichen mit unterschiedlicher vaskulärer Kapazität und daher unterschiedlichen Bluttransitzeiten.

Organsysteme mit besonders niederer vaskulärer Kapazität (hoher venöser Compliance) sind etwa die Haut und das Splanchnikusgebiet. In diesen Organsystemen befinden sich in Ruhe zirka 50 % des gesamten venösen Blutvolumens [1, 8]. Die Venen der Skelettmuskulatur haben zwar keine erhöhte Compliance, spielen aber aufgrund der großen Masse (zirka 20–35 kg) ebenfalls eine wichtige Rolle für die Rekrutierung venösen Blutvolumens [1].
Das „unstressed“ Blutvolumen bestimmende Faktoren
Arterielle Vasomotion.
Eine Vasokonstriktion in arteriellen Widerstandsgefäßen verringert den Blutfluss in den dahinterliegenden Venen. Der transvenöse Druck (= intravasaler Druck – Umgebungsdruck) nimmt ab – das Venenvolumen verringert sich entlang der jeweiligen Compliance-Kurve des Gefäßes und venöses Blutvolumen wird in Richtung rechtes Herz transportiert [1, 7]. Organe mit hoch complianten Venen (Haut, Splanchnikusgebiet) besitzen an ihren Arteriolen eine hohe Dichte an Alpha-1- und Arginin-Vasopressin V1-Rezeptoren, die unter Stress aktiviert werden und die Vasokonstriktion steuern [8]. Als Beispiel sei hier die Orthostase angeführt: Im Stehen liegt das Herz eines Erwachsenen zirka 1,2 bis 1,5 m über den Füßen, somit sind zirka 70–75 % des gesamten Blutvolumens unterhalb der Herzebene [1, 2]. Ohne sofortige arterioläre Vasokonstriktion und Mobilisierung von „unstressed volume“ aus den unteren Extremitäten, dem Splanchnikusgebiet und inaktiver Muskulatur der oberen Extremitäten würde Blutpooling unterhalb des Herzens zum raschen kardiovaskulären Kollaps führen [2]. Unterstützt wird der venöse Rückstrom durch die Aktivierung der Skelettmuskulatur (= „Muskelpumpe“). Muskelanspannung und Muskelkontraktionen entleeren durch mechanischen Druck gefüllte Venen – der Blutfluss wird durch intakte Venenklappen unidirektional zum rechten Herzen geleitet. Bei dynamischer Belastung, zum Beispiel Laufen oder Radfahren, ist die Muskelpumpe für bis zu einem Drittel des gesamten venösen Rückstromes und damit für ein Drittel des generierten Herzminutenvolumens verantwortlich [2].
Im Gegensatz dazu erhöht arterielle Vasodilatation den transmuralen Füllungsdruck in nachgeschalteten Venen und erhöht deren Volumen [8].
Venöse Vasomotion.
Lange Zeit war nicht klar, welche physiologische Bedeutung eine aktive Venokonstriktion für die Mobilisierung von „unstressed“ Volumen hat. Die Mobilisierung von venösem Blutvolumen wurde größtenteils als passiver Prozess durch Kontraktion von Arteriolen mit nachfolgendem transmuralem Druckabfall in nachgeschalteten Venen angesehen [1]. Mittlerweile wissen wir, dass die Gefäßmuskulatur kleiner Venen im Splanchnikusgebiet und der Skelettmuskulatur auf im Blut zirkulierende Katecholamine (z. B. Adrenalin) vasokonstringiert [8]. Allerdings werden Venolen des Splanchnikusgebiets, mit einem Durchmesser von zirka 25 µm, auch von sympathischen Nervenfasern innerviert und deren Stimulation führt über Vermittlung von Noradrenalin zur venösen Vasokonstriktion [9]. Die Gefäßmuskulatur von Venen besitzt fast ausschließlich Alpha-1- und Angiotensin-Rezeptoren, während Arginin-Vasopressin keinen direkten Einfluss auf den Venentonus, die venöse Compliance und damit auf den Pmcf hat. Vasodilatatoren, wie zum Beispiel Nitroglycerin oder Nitroprussid, führen zu einer Venodilatation mit Erhöhung des venösen „unstressed volume“ [8].
Die kardiale Funktionskurve und der Pmcf
Abb. 3 zeigt die Kombination aus kardialer Funktionskurve und venöser Rückstromkurve. Der venöse Rückstrom zum Herzen nimmt bei steigendem PRA, mit der Druckdifferenz zwischen Pmcf und PRA ab und sistiert, wenn beide Drücke gleich sind (blaue Kurve – Schnittpunkt mit der X‑Achse). Unterhalb eines PRA von 0 mm Hg kann der venöse Rückstrom nicht weiter gesteigert werden, da es zum atemabhängigen Kollaps der großen Hohlvenen am Übergang in den Thorax kommt [6].

Betrachten wir die kardiale Funktionskurve zusammen mit der venösen Rückstromkurve, so zeigt sich, dass eine Steigerung des Herzminutenvolumens (HZV) nur durch Anheben des Pmcf oder/und durch Steigerung der Inotropie erfolgen kann (gestrichelte Linien). Limitiert wird dieser Anstieg im HZV im flachen Bereich der Frank-Starling-Kurve dadurch, dass hier Pmcf und PRA im gleichen Ausmaß ansteigen und die Differenz aus Pmcf – PRA nicht mehr zunimmt [10]. Das bedeutet, dass in der klinischen Praxis Volumengabe das Herzminutenvolumen durch Anhebung des Pmcf nur im ansteigenden Teil der Frank-Starling-Kurve erhöht [11, 12].
Messungen des Pmcf am Menschen
Erstmals wurden Pmcf-Messungen im Rahmen elektrophysiologischer Untersuchungen am menschlichen Herzen versucht. Bei Auslösen von Kammerflimmern kommt es zu einer langsamen Annäherung der Drücke zwischen Arterie und der Vena cava. Allerdings findet auch bis zu 20 s nach Auslösen des Kammerflimmerns kein vollständiges Äquilibrium von arteriellen und venösen Drücken statt. Aussagen zum Pmcf aus diesen Experimenten sind daher als grobe Schätzungen zu betrachten [13].
Auf der Intensivstation kann der Pmcf mittels der Herz-Lungen-Interaktionsmethode (Pmcf hold technique) [14] gemessen werden. Dazu wird sowohl das HZV als auch der PRA im Rahmen eines in- und exspiratorischen „Hold“-Manövers bestimmt. Bei Beatmung steigt während des inspiratorischen Holdmanövers der PRA und das HZV sinkt. Im Gegensatz dazu führt ein exspiratorisches Holdmanöver zum Abfall der PRA und Anstieg des HZV. Unter der Annahme einer linearen Beziehung zwischen PRA und RV werden die jeweiligen Messungen grafisch, in einem XY-Plot, dargestellt (X-Achse: PRA ; Y‑Achse: HZV) und eine Regressionsgerade bis zum Schnittpunkt mit der X‑Achse berechnet. Der Wert am Schnittpunkt entspricht dem Pmcf. Der kleinere Winkel der Geraden zur X‑Achse entspricht dem Kehrwert des venösen Gefäßwiderstands (1/RV). Mit dieser Methode liegen die mittleren Werte für Pmcf zwischen 19 und 33 mm Hg mit großer Streubreite.
Ähnliche Ergebnisse wurden mit der Arm-Okklusionsmethode am Menschen erzielt [14]. Nach Aufblasen einer Manschette über den systolischen Blutdruck kommt es nach zirka 20–30 s zum Äquilibrium zwischen den Blutdrücken in der Arteria radialis und einer Armvene. Dieser Blutdruck wird als Synonym des Pmcf angenommen. Die dabei gemessenen Pmcf-Werte variieren zwischen 16 und 24 mm Hg. Unterschiede in den venösen Kapazitäten diverser Organsysteme, die zeitabhängig den Pmcf beeinflussen, werden nicht erfasst.
Mittlerweile gibt es Computeralgorithmen, die eine grobe Bestimmung des Pmcf anhand von gleichzeitigen Messungen von PRA, mittlerem arteriellem Blutdruck und HZV erlauben (Navigator®; Applied Physiology, PTy Ltd., Sydney, Australien) [12].
Literatur
- Rowell LB. The venous system. Human Circulation Regulation during physical stress. Oxford University Press; 1986. S. 44–77.
- Rowell LB. Adjustments to upright posture and blood loss. Human Circulation Regulation during physical stress. Oxford University Press; 1986. S. 44–77.
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- Guyton AC, Polizo D, Armstrong GG. Mean circulatory filling pressure measured immediately after cessation of heart pumping. Am J Physiol. 1954;179:261–7.
- Guyton AC, Lindsey AW, Abernathy B, et al. Venous return at various right atrial pressures and the normal venous return curve. Am J Physiol. 1957;189:609–15.
- Persichini R, Lai C, Teboul J‑L, et al. Venous return and mean systemic filling pressure: physiology and clinical applications. Crit Care. 2022;26:150.
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- Schipke JD, Heusch G, Sanii AP, et al. Static filling pressure in patients during induced ventricular fibrillation. Am J Physiol Heart Circ Physiol. 2003;285:H2510–H5.
- Maas JJ, Pinsky MR, Geerts BF, et al. Estimation of mean systemic filling pressure in postoperative cardiac surgery patients with three different methods. Int Care Med. 2012;38:1552–60.
erscheint in ANÄSTHESIE NACHRICHTEN 2/2025