Zusammenfassung
Nach Inkrafttreten der Spezialisierung in „Klinischer Akut- und Notfallmedizin“ gilt es, wichtige Schritte zu setzen, um die Umsetzung der Spezialisierungsverordnung in den klinischen Alltag zu unterstützen: die Etablierung von Weiterbildungsstätten, wo die Spezialisierung auch umfassend ausgebildet werden kann, sowie die personelle, organisatorische und logistische Weiterentwicklung der Notfallabteilungen, damit alle (z. B. auch kritisch kranke) Notfallpatient:innen in diesen Einrichtungen versorgt werden können. Definiertes Ziel der Anästhesie muss es sein, nicht nur in der prähospitalen Notfallversorgung dominant tätig zu sein, sondern auch die interdisziplinäre Arbeit in den Akutbereichen (Schockraum, Notfallabteilung) sowie den anderen innerklinischen Notfallbereichen zu forcieren.
von Helmut Trimmel (1, 2), Martin Dünser (1), Gerhard Prause (1)
(1) Sektion Notfallmedizin der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI), Wien
(2) Klinische Abteilung für Anästhesie, Notfall- und Allgemeine Intensivmedizin, Universitätsklinikum Wiener Neustadt

Mit 1. Juni 2025 wurde die Spezialisierung in „Klinischer Akut- und Notfallmedizin“ im Rahmen der 8. Novelle der Spezialisierungsverordnung der Österreichischen Ärztekammer in Kraft gesetzt. Die Details zu dieser bereits an anderer Stelle vorgestellten Ausbildung [1] sind auf der Homepage der Österreichischen Ärztekammer zum Download bereitgestellt [2]. Die Bemühungen der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI), die sich hier schon vor Jahren an die Seite der AAEM (Austrian Association for Emergency Medicine) gestellt hat [3], wurden nach mehreren Rückschlägen schlussendlich von Erfolg gekrönt. Für dieses Engagement unserer Fachgesellschaft gab es zwei wesentliche Motive:
- Zum einen war dies die längst überfällige Festlegung eines Ausbildungscurriculums für innerklinisch tätige Notfallmediziner, welches den breiten Anforderungen in interdisziplinären Notfallabteilungen gerecht wird.
- Zum anderen galt es, den interdisziplinären Ansatz und somit auch den Zugang zur Klinischen Akut- und Notfallmedizin für unser Sonderfach zu festigen.
Auch wenn in angloamerikanischen und vielen europäischen Ländern ein eigener Facharzt für Notfallmedizin seit vielen Jahr(zehnt)en etabliert ist, erschien es uns als Fachgesellschaft wichtiger, die Klinische Akut- und Notfallmedizin weiter auf einen breiten, fachübergreifenden Konsens zu stellen. Diesen Standpunkt teilen auch unsere deutschen Kolleg:innen. So spricht sich die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) in ihren Empfehlungen zur Zukunft und Weiterentwicklung der klinischen Akut- und Notfallmedizin [4] für eine Stärkung der Zusatzweiterbildung „Klinische Akut- und Notfallmedizin“ als zentrales Anliegen und explizit gegen die Schaffung eines eigenen Facharztes für Notfallmedizin aus. Zitat: „… dass die Notfallversorgung eine zentrale und unverzichtbare Kernkompetenz der Patientenversorgung in ihren jeweiligen Disziplinen darstellt, so dass die Einführung eines eigenständigen ‚Facharztes für Notfallmedizin‘ als nicht zielführend erachtet wird.“
Die nächsten Schritte
Bevor man nun über eine Weiterentwicklung der Spezialisierung „Klinische Akut- und Notfallmedizin“ in Österreich nachdenkt, gilt es zuallererst, wichtige (Fort‑)Schritte erfolgreich zu bewältigen. Dazu gehört die Etablierung von Weiterbildungsstätten, an welchen die Spezialisierung „Klinische Akut- und Notfallmedizin“ auch umfassend ausgebildet werden kann. In einem nächsten Schritt müssen sich Notfallabteilungen sowohl personell als auch organisatorisch und logistisch so weit entwickeln, dass alle Notfallpatient:innen (z. B. auch kritisch kranke Notfallpatient:innen) in diesen Einrichtungen versorgt werden können.
Wie könnte in weiterer Folge diese Stärkung oder Weiterentwicklung der Spezialisierung „Klinische Akut- und Notfallmedizin“ aussehen? Aus unserer Sicht sollte der Schwerpunkt besonders auf der Vertiefung der intensivmedizinischen Kompetenzen liegen, um die bestmögliche Versorgung von kritisch kranken Patient:innen in den Notfallabteilungen zu sichern. Gerade kritisch kranke Patient:innen profitieren wesentlich von einer Früherkennung sowie einer raschen und effektiven Therapie noch vor Aufnahme auf die Intensivstation. Wissenschaftliche Daten zeigen, dass durch die frühe intensivmedizinische Versorgung von kritisch kranken Notfallpatient:innen nicht nur Organdysfunktionen reversiert und Aufnahmen auf die Intensivstationen verhindert, sondern auch die kurz- und langfristigen Überlebenschancen dieser Patient:innen deutlich verbessert werden können [5, 6]. Damit können zudem wertvolle intensivmedizinische Ressourcen frei gemacht und so etwa die Versorgung von Patient:innen nach geplanten großen chirurgischen Eingriffen oder Interventionen gesichert werden.
Aber zurück zum Status quo und der aktuellen Implementierung der neuen Spezialisierung „Klinische Akut- und Notfallmedizin“ in Österreich. Derzeit liegen bereits zahlreiche Anträge aus unserem Sonderfach auf Zuerkennung der Spezialisierung Klinische Akut- und Notfallmedizin nach den Übergangsbestimmungen bei der Österreichischen Ärztekammer vor. Die ersten Spezialisierungsdiplome wurden bereits an deren stolze Empfänger versandt.
Der nächste wichtige Schritt ist nun – wie oben erwähnt – die Etablierung von Ausbildungsstätten für die neue Spezialisierung. Dies wird einen Motivationsschub für an der Klinischen Akut- und Notfallmedizin interessierte Kolleg:innen darstellen und wichtige infrastrukturelle Verbesserungen bringen. Zu hoffen ist, dass die Bedeutung, die interdisziplinäre Notfallabteilungen in der modernen Klinikstruktur haben, nunmehr die ihnen gebührende Beachtung finden. Die in der Spezialisierung vorgegebenen Erfahrungen und Fertigkeiten werden die Patient:innenversorgung verbessern. Das Sonderfach der Anästhesiologie und Intensivmedizin, dem viele der in der Spezialisierung geforderten Kompetenzen zu eigen sind, ist nunmehr aufgerufen, neben dem Erfüllen der entsprechenden Ausbildungserfordernisse für Kolleg:innen anderer Fächer, die die Spezialisierung anstreben, auch selbst Mitverantwortung in der Klinischen Notfallmedizin wie auch in der Leitungsfunktion moderner Notfallabteilungen zu übernehmen.
Interdisziplinäre Verzahnung
In diesem Kontext darf nicht übersehen werden, dass die Notfallmedizin und auch die Tätigkeit als Notärztin:Notarzt anfangs eines der Hauptargumente für junge Kolleg:innen ist, sich für eine Ausbildung im Sonderfach Anästhesiologie und Intensivmedizin zu entscheiden. Es muss daher definiertes Ziel der Anästhesie sein, nicht nur in der prähospitalen Notfallversorgung dominant tätig zu sein [7, 8], sondern es sollte auch eine enge Verzahnung mit der Arbeit in den interdisziplinären Akutbereichen (Schockraum, Notfallabteilung) sowie den anderen innerklinischen Notfallbereichen (z. B. Herzalarmteams, Medical Emergency Teams) forciert werden. Nur mit nachweislichen Ausbildungszeiten und Tätigkeiten in den Erstaufnahmen können auch Fachärzt:innen für Anästhesiologie und Intensivmedizin künftig die Vorgaben dieser wichtigen Spezialisierung erfüllen.
Sollte dies nicht gelingen, droht die Notfallmedizin als wichtige Säule unseres Sonderfaches und vor allem als Nummer-1-Motivator für junge Kolleg:innen wegzubrechen. Welche Folgen dies für die Verfügbarkeit einer ausreichenden Zahl an Anästhesist:innen haben könnte, muss nicht weiter ausgeführt werden.
Die Notfallmedizin ist jedoch nicht nur für unseren Nachwuchs attraktiv und interessant, sondern stellt eine fundamentale Erweiterung der anästhesiologischen Kompetenzentwicklung dar. Die Ausbildungsordnung 2015 sieht als Basis vor dem eigentlichen Einstieg in das Sonderfach Anästhesiologie und Intensivmedizin lediglich die neunmonatige Basisausbildung vor – und auch diese gerät zunehmend in Diskussion. Im Gegensatz zu früher, als in der Regel der komplette Turnus zur Ärztin/zum Arzt für Allgemeinmedizin oder zumindest sechs Monate Innere Medizin und sechs Monate in chirurgischen Disziplinen absolviert werden mussten, sind hier aktuell durchaus Ausbildungsdefizite zu beobachten.
Die Ausbildungsordnung fordert jedoch sowohl in der Sonderfach-Grundausbildung als auch insbesondere im Modul 5 (Notfallmedizin) der Schwerpunktausbildung den Erwerb entscheidender notfallmedizinischer Kompetenzen (Tab. 1). Die Arbeit in einer Notfallabteilung, mit den sich hier in umfangreicher Art und Weise präsentierenden Akut- und Notfällen, aber auch verschiedensten Krankheitsbildern, die üblicherweise im niedergelassenen Bereich zu versorgen sind, stellt ohne Frage eine Bereicherung für den oft erforderlichen multimodalen Behandlungsansatz angehender Anästhesist:innen und Intensivmediziner:innen dar.
| Tab. 1: Notfallmedizinische Kompetenzen im Sonderfach Anästhesiologie und Intensivmedizin |
|---|
| Kenntnisse |
| 1. Schmerz- und Palliativmedizin, Schmerzphysiologie und -pathophysiologie, Schmerzdiagnostik und Schmerztherapie, Pharmakologie |
| 2. Arzt-Patienten-Kommunikation, Kommunikation mit Angehörigen, interdisziplinäre und interprofessionelle Kommunikation |
| 3. Einschlägige Rechtsvorschriften für die Ausübung des ärztlichen Berufs, insbesondere betreffend das Sozial‑, Fürsorge- und Gesundheitswesen, einschließlich entsprechender Institutionenkunde des österreichischen Gesundheitswesens und des Sozialversicherungssystems |
| 4. Grundlagen der multidisziplinären Koordination und Kooperation, insbesondere mit anderen Gesundheitsberufen und Möglichkeiten der Rehabilitation |
| Erfahrungen |
| 1. Abgestuftes Akutschmerzmanagement, schmerzmedizinische Patientinnen- und Patientenbehandlung bei akuten und chronischen Schmerzen |
| 2. Interdisziplinäre innerklinische Notfallversorgung |
| 3. Interdisziplinäres Schockraummanagement |
| 4. Regelmäßige Mitwirkung in der innerklinischen Notfallversorgung, z. B. im Rahmen eines Herzalarm- oder Medical-Emergency-Teams, Schockraum |
| 5. Mitarbeit in einer interdisziplinären Notfallaufnahme oder ähnlichen Einrichtung |
| 6. Grundlegende Techniken der Notfallbehandlung von Patientinnen und Patienten aller Altersgruppen |
| 7. Schockbehandlung |
| 8. Differenzialdiagnose und Therapie von Rhythmusstörungen, Kardioversion |
| Fertigkeiten |
| 1. Präoperative Erhebung von Anamnese und Belastungsfähigkeit, klinische Untersuchung, individuelle Indikation für Zusatzuntersuchungen, Interpretation von diagnostischen Tests |
| 2. Interdisziplinäre innerklinische Notfallversorgung |
| 3. Interdisziplinäres Schockraummanagement inklusive Monitoring und fachspezifische Behandlung der Vital- und Organdysfunktionen |
| 4. Notfallmedizinische Versorgung im innerklinischen Bereich inkl. kardiopulmonaler Reanimation |
| 5. Klinische Diagnostik und Indikationsstellung für apparative Diagnostik bei akut erkrankten bzw. traumatisierten Patientinnen und Patienten aller Altersstufen mit Schwerpunkt auf standardisierte notfallmedizinische Untersuchung |
| 6. Schrittmacherbehandlung und Kardioversion im Notfall |
| 7. Kardiopulmonale Reanimation aller Altersstufen |
| 8. Management von Notfallsituationen |
| 9. Einsätze im Rahmen eines Herzalarms oder Medical Emergency Teams |
| 10. Intraossärer Zugang |
| 11. Thoraxdrainage und Pleurapunktion |
| 12. Behandlung von Patientinnen und Patienten in lebensbedrohlichen Notfallsituationen |
| 13. Durchführung von innerklinischen Transporten oder Interhospitaltransporten beatmeter Patientinnen und Patienten |
| Quelle: Auszug aus dem Ausbildungskatalog. Kursiv gedruckt sind Inhalte des Moduls 5: Notfallmedizin |
Die Sektion Notfallmedizin der ÖGARI appelliert daher an alle Abteilungsvorstände und Ausbildungsverantwortlichen unseres Sonderfachs, sich dieser Thematik anzunehmen und die Mitwirkung in den so wichtigen zentralen Aufnahmeeinrichtungen modern strukturierter Kliniken allen interessierten Mitarbeiter:innen zu ermöglichen. Darüber hinaus können Anästhesist:innen natürlich ganz wesentlich zur Verbesserung der Versorgung von kritisch kranken Notfallpatient:innen beitragen und sind eine zentrale Bereicherung der fachlichen Expertise in jeder Notfallabteilung. Eine fallweise damit verbundene, vorübergehende Reduktion verfügbarer anästhesiologischer Arbeitskräfte stellt im Gegenzug ausreichende Ressourcen für die Zukunft sicher!
Literatur
- Dünser M, Herkner H, Eisenburger P, Trimmel H. Spezialisierung „Klinische Akut- und Notfallmedizin“ in Österreich. Anäst Nachr. 2025;7(2):86–7.
- Österreichische Ärztekammer. Spezialisierung Klinische Akut- und Notfallmedizin. 2025. https://www.aerztekammer.at/documents/d/content-pool/rz_spez_klinische-akut-und-notfallmedizin_2025-06-01.
- Dünser M, Trimmel H. ÖGARI Positionspapier zur innerklinischen Akut- und Notfallmedizin. Anäst Nachr. 2022;4(2):156–8.
- DIVI. Empfehlungen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) zur Zukunft und Weiterentwicklung der klinischen Akut- und Notfallmedizin. 2025. https://www.divi.de/publikationen/alle-publikationen/publikationen-dokumente/250804-divi-empfehlung-notaufnahme. Zugegriffen: 12.08.2025
- Group CC in EMI. Care of the critically ill begins in the emergency medicine settings. Eur J Emerg Med. 2024;31(3):165–8.
- Dünser MW, Leach R, Al-Haddad M, Arafat R, Baker T, Balik M, et al. Emergency critical care—life-saving critical care before ICU admission: a consensus statement of a Group of European Experts. J Crit Care. 2025;87:155035.
- Trimmel H, Dünser M. Emergency Day 2024. Erste Ergebnisse des Notarzt-Audits der ÖGARI. Anäst Nachr. 2025;7(1).
- Trimmel H, Anzur C, Dressler-Stross S, Voelckel WG, Erblich R, Dünser M. The Austrian emergency day: a single-day audit of the call profiles of physician-staffed prehospital emergency medical services in Austria. Emerg Med J. 2025 Sep 14:emermed-2025-214968. https://doi.org/10.1136/emermed-2025-214968. Online ahead of print.