Wiener Notarzttage: Rückblick der Vienna Premedics

Zum fünften Mal seit der ersten Ausgabe im Jahr 2017 fand das Symposium „Wiener Notarzttage“ im Hörsaalzentrum der Medizinischen Universität Wien statt. Neben einer Reihe an Vorträgen aus unterschiedlichsten Bereichen der Notfallversorgung stand in diesem Jahr der Schwerpunkt Katastrophenmedizin auf dem Programm.

© Vienna Premedics

von Andreas Strassl, Vienna Premedics


Im April 2023 war die Universitätsklinik für Anästhesie, Allgemeine Intensivmedizin und Schmerztherapie der Medizinischen Universität Wien/AKH Wien gemeinsam mit den Vienna Premedics Gastgeberin für 260 Interessierte aller Berufsgruppen aus dem Bereich der Notfallmedizin. Der interdisziplinäre Charakter der Veranstaltung ist seit Beginn an ein wichtiger Grundsatz, so stand die Anmeldung auch heuer neben Ärzt:innen und Sanitäter:innen sämtlichen Interessierten und natürlich auch Studierenden offen. Durch die Unterstützung verschiedener Sponsoren war die Teilnahme am Symposium auch in diesem Jahr kostenlos. Am zweiten Veranstaltungstag wurde ein Refresher-Kurs für Notärzt:innen mit verschiedenen Skill-Trainings und Workshops angeboten.

Auszug aus dem Programm

Nach der Begrüßung durch Markus Müller, Rektor der MedUni Wien, sowie Oliver Kimberger und Harald Willschke von der Universitätsklinik für Anästhesie, Allgemeine Intensivmedizin und Schmerztherapie wurden gleich zu Beginn die maximalinvasiven Interventionen im Rettungsdienst vorgestellt und diskutiert: In der Session „Chirurgische Skills in der Notfallmedizin“ wurden sogenannte „HALO Procedures“ – High Acuity, Low Occasion – wie Amputation, Koniotomie, Thorakotomie und der endovaskuläre, temporäre Verschluss der Aorta, besser bekannt unter dem englischsprachigen Begriff „Resuscitative Endovascular Balloon Occlusion of the Aorta“, kurz REBOA, vorgestellt. Auch wenn manche dieser maximalinvasiven Therapiemaßnahmen in der österreichischen Rettungsdienstlandschaft durchaus kontrovers diskutiert werden, so gab es doch einen Konsensus: Diese Maßnahmen setzen viel interdisziplinäres Training und Simulation voraus, egal ob prä- oder innerklinisch praktiziert. Wesentlich häufiger anzutreffen sind allerdings Frakturen und Luxationen, weshalb Lukas Negrin von der Universitätsklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie in seinem Vortrag die Indikationen zur Reposition bei Extremitätentraumata erläuterte und eine Schritt-für-Schritt Anleitung dazu präsentierte.

In einer Session zu Peri-Arrest Algorithmen wurde der Fokus auf zwei gänzlich unterschiedliche Notfallbilder gerichtet: Therapie bei Traumata sowie Herzrhythmusstörungen. Zusätzlich wurde hier ein diagnostisches Tool aufgegriffen, das weitgehend ein Novum in der österreichischen Präklinik ist: Die Point-Of-Care-Blutgasanalyse. Matthias Müller von der Universitätsklinik für Notfallmedizin diskutierte Pros und Contras mit der Conclusio, dass eine frühzeitige venöse Blutgasmessung bei Patient:innen mit unklar abnormen Vitalparametern und A‑, B‑, C‑ oder D‑Problem dann sinnvoll ist, wenn auch entsprechende Therapiemöglichkeiten am Fahrzeug mitgeführt werden.

Auch aus den eigenen Reihen gab es einen Programmbeitrag: Paul Kreis von den Vienna Premedics wurde eingeladen, die Session Katastrophenmedizin mit einem Einblick in den Alltag der Medical Crew der Sea-Eye 4 zu eröffnen. Am Schiff der NGO Sea-Eye, welche sich die Seenotrettung im Mittelmeer zur Aufgabe gemacht hat, war Paul als Teil der Medical Crew sowohl für die Sichtung und Triagierung der Geretteten an Deck als auch für die Versorgung im Board Hospital zuständig. „Manche Menschen sind tagelang auf See und werden scheinbar nur durch den enormen Stress, dem sie währenddessen ausgesetzt sind, angetrieben. Sobald sie dann an Bord des Rettungsschiffes sind, fällt dieser ab und die Menschen klappen einfach zusammen“. Der Vortrag verdeutlichte nicht nur die Herausforderung, viele Menschen in kurzer Zeit mit begrenzten Ressourcen zu versorgen, sondern viel mehr die nach wie vor bestehende humanitäre Katastrophe im Mittelmeerraum. In der Session wurde weiters über nationales, internationales und europäisches Katastrophenmanagement gesprochen.

Paul Kreis gab im Rahmen der Session Katastrophenmedizin bei den Wiener Notarzttagen einen Einblick in den Alltag der Medical Crew der Sea-Eye 4. (© Vienna Premedics)

Immerhin liegt die letzte Katastrophe nicht weit zurück. Die COVID-19-Pandemie brachte auch medial vielfach einen im rettungsdienstlichen Jargon konventionellen Begriff, die Triage, hervor. Mit Ressourcen-Allokation als Synonym dazu beschäftigte sich Harald Willschke unter anderem in der letzten Vortrags-Session. Weitere Themen wie die präklinische Verfügbarkeit von Blut- und Blutprodukten im Katastrophenfall und die Funktion des leitenden Notarztes wurden beleuchtet. Den Abschluss dieser Session und des Tages bildete eine Podiumsdiskussion zum Thema Sanitätshilfsstation. Die – bewusst provokante – Frage „Soll ich mein Zelt aufbauen?“ stand dabei symbolisch dafür, dass das Konzept womöglich nicht mehr zeitgemäß ist. Als Diskussionsteilnehmer:innen waren Vertreter mehrerer Institutionen eingeladen.

Die Veranstaltung wurde live gestreamt, die Aufzeichnungen stehen am YouTube Kanal der Vienna Premedics öffentlich zur Verfügung. Diese Veranstaltung – so wie die mittlerweile überregional bekannten Premedics Lectures – ist mittlerweile fester Bestandteil der deutschsprachigen FOAMed-Szene (Free Open Access Medical Education).

Alle Vorträge der 5. Wiener Notarzttage finden Sie unter: youtube.com/ViennaPremedics.
Die nächste Premedics Lecture wird im kommenden Herbst abgehalten, mehr Infos dazu schon bald unter premedics.at sowie auf den Social Media Kanälen:
IG: vie.premedics
FB: Vienna Premedics

Die Vienna Premedics

Das Ziel der Organisation ist es, eine Plattform zur Vernetzung sowie Aus- und Fortbildung für Medizinstudierende im Rettungsdienst – und darüber hinaus – zu schaffen. Bei öffentlichen Veranstaltungen profitieren auch Externe unabhängig von Organisationszugehörigkeit und Ausbildungsstand, so wurden in den Premedics Lectures bereits sämtliche Themenbereiche der Notfallmedizin von Vortragenden mit einem hohen Maß an Expertise auf ihrem Gebiet behandelt. Die Vortragsreihe wird im Herbst 2023 fortgesetzt.

Die meisten Mitglieder betätigen sich auch aktiv ehrenamtlich im Rettungsdienst verschiedener Organisationen. Dieser Umstand ermöglicht einen kontinuierlichen Erfahrungs- und Wissenstransfer zwischen den Studierenden, der ohne den Verein kaum stattfinden würde. Aber nicht nur innerhalb der Vienna Premedics findet ein Austausch statt: Im November des vergangenen Jahres gab es zum ersten Mal ein Vernetzungstreffen der verschiedenen studentischen Notfallmedizin-Initiativen in Österreich. Diese Treffen werden nun jährlich stattfinden, mit dem Ziel, Kommunikation und Zusammenarbeit zu fördern.

Regelmäßige Simulationstrainings und Workshops zu verschiedenen Themen bieten den Sanitäter:innen und zukünftigen Ärzt:innen die Möglichkeit, ihre Kenntnisse zu trainieren und zu vertiefen. So wurde beispielsweise im März 2023 ein dreitägiger Workshop zu präklinischer Notfallsonographie abgehalten, in dem das FAST-Protokoll (Focused Assessment with Sonography for Trauma) trainiert sowie ultraschallgezielte Punktion und Echokardiographie gelehrt wurden. Im Rahmen der Trainingseinheiten werden zum Teil auch von den Student:innen erlebte Fallbeispiele aus dem Rettungsdienstalltag aufgearbeitet. Da sich die Vereinsmitglieder in unterschiedlichen Studienabschnitten befinden – von Studienanfänger:innen bis hin zu Jungärzt:innen – profitieren besonders auch jene, die am Anfang ihrer Ausbildung zur Mediziner:in stehen, vergleichbar mit Peer-to-Peer-Mentoringprogrammen, welche an Universitäten immer größere Bedeutung gewinnen .

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Im Rahmen eines dreitägigen Workshops im März dieses Jahres wurde unter anderem die präklinische Notfallsonographie geübt. (© Vienna Premedics)

Seit dem letzten Beitrag in den Anästhesie-Nachrichten im Mai 2020 hat sich also einiges getan. Aus der 2019 gegründeten Initiative mit dem Anliegen, bereits während des Studiums Expertise im Bereich der Anästhesiologie und Notfallmedizin zu erlangen, wurde ein Verein mit umfassendem Fortbildungsangebot und stetig steigender Mitgliederzahl. Es formierte sich sogar ein Wettkampfteam, um diese Expertise unter Beweis zu stellen: So nehmen die Vienna Premedics an nationalen und internationalen EMS-Competitions teil, beispielsweise auch an der European EMS Championship in Glasgow vergangenes Jahr. Darauf folgten Einladungen nach Australien und Neuseeland, die seitens des Teams dankend angenommen wurden. Diese wertvollen Einblicke – in Systeme am anderen Ende der Welt – förderten weiters die Motivation und Entschlossenheit, die junge Notfallmedizin hierzulande mitzugestalten und weiter voranzutreiben.

Wie von einigen Vortragenden der Wiener Notarzttage reflektiert: Zur optimalen Versorgung von Notfallpatient:innen ist Training das effektivste Mittel. Für die Notärzt:innen von morgen schließen die Vienna Premedics somit bereits jetzt eine Lücke.

Mitmachen!

Dieses vielseitige Angebot kann nur mit einem aktiven, motivierten Team gestaltet und umgesetzt werden. Interessierte können jederzeit unter crewing@premedics.at Kontakt aufnehmen.

erscheint in den Anästhesie Nachrichten 3/23