Cannabinoid-Medikamente bei Schmerzen, Übelkeit oder Appetitminderung

21. Österreichische Schmerzwochen: Eine Expert*innengruppe diskutierte darüber, bei welchen Erkrankungen und Beschwerden eine Therapie mit in Österreich zugelassenen Cannabinoid-Medikamenten empfehlenswert ist.

© Oliver Miller Aichholz

Die Erfahrungen von Fachärzt*innen verschiedener medizinischer Disziplinen zeigen, dass Patient*innen mit unterschiedlichen Symptomen von einer Therapie mit den in Österreich erhältlichen Cannabinoid-Medikamenten profitieren können. Generelle Anwendungsempfehlungen für Cannabinoid-Medikamente seien jedoch laut Cannabinoid-Expert*innen nicht möglich, da Wirksamkeit und Sicherheit noch nicht ausreichend mit wissenschaftlichen Studien belegt sind. „Umso wichtiger ist es daher, die praktischen Erfahrungen der Behandler*innen und der Patient*innen weiterzugeben und in die Entscheidungen für eine Cannabinoid-Therapie einfließen zu lassen“, sagt OÄ Dr. Gabriele Grögl-Aringer, Vorstandsmitglied der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG), anlässlich der 21. Schmerzwochen der ÖSG.

THC und CBD als Add-on-Therapien

 Dr. Grögl-Aringer betont, dass die Cannabinoide THC (internationaler Freiname: Dronabinol) und CBD in der Regel als Add-on-Therapien zu anderen Medikamenten eingesetzt werden. Dronabinol kann Symptome wie Schmerzen, Schlafstörungen, Übelkeit, Erbrechen oder Appetitminderung verbessern, die häufig auch gemeinsam als Systemcluster auftreten. „Kommt es durch die Verabreichung von THC zu einer Besserung der Symptomatik, können Medikamente zur Behandlung der Einzelsymptome eingespart werden, die oftmals deutliche Nebenwirkungen aufweisen“, erklärt Dr. Grögl-Aringer. Ähnliches gelte für CBD: Auch dieses Cannabinoid kann Übelkeit und Schlafqualität verbessern, wirkt antidepressiv, reduziert chronische Fatigue und steigert somit die Lebensqualität. Im Gegensatz zu Dronabinol ist CBD jedoch nicht appetitsteigernd. „Ein wichtiger Unterschied ist auch, dass THC psychotrop ist und CBD nicht“, sagt Dr. Grögl-Aringer.

Cannabinoide bei Schmerzen

Cannabinoide sind nicht in der Lage, akuten Schmerz zu lindern, sie können diesen sogar verstärken. Im Gegensatz dazu steht ihre Wirkung bei chronischen und chronisch therapierefraktären Schmerzen, die durch den Add-on-Einsatz von Cannabinoiden eine Reduktion erfahren können.

Die vergleichsweise beste Studienevidenzlage samt Therapieempfehlung gibt es für den Einsatz von Dronabinol bei neuropathischem Schmerz. „Zudem ist hier die Erfahrungsevidenz noch viel deutlicher als die Studienevidenz“, sagt Dr. Grögl-Aringer. Als Drittlinien-Therapeutikum kann Dronabinol bei neuropathischem Schmerz add-on eingesetzt werden, wenn First- und Second-line- Therapeutika kontraindiziert sind, keine zufriedenstellende Wirkung zeigen oder eine therapielimitierenden Nebenwirkung zur Folge haben.

Die bisher beste Datenlage und eine moderate Evidenz der Wirksamkeit gibt es für Nabiximols (THC und CBD im Verhältnis 1:1, Handelsname Sativex®) zur Behandlung von Spastik und Schmerzen, die durch multiple Sklerose bedingt sind. Mit einer Studie belegt ist auch die schmerzlindernde Wirkung von Nabiximols als Add-on-Medikation bei peripherem neuropathischem Schmerz. Da in Österreich die Indikation für Nabiximols jedoch nur therapierefraktäre Spastik aufgrund einer multiplen Sklerose ist, stellt die Therapie von neuropathischen Schmerzen einen „off-label use“ dar.

Cannabinoide bei Tumorpatient*innen und Kachexie

Bei Patient*innen mit Tumorschmerzen, die nicht ausreichend auf eine Opioidtherapie ansprechen, kann ein Therapieversuch mit Cannabinoiden (THC und CBD) als Add-on-Medikation zur Schmerzreduktion im Sinne eines individuellen Heilversuches sinnvoll sein. In der Praxis ist Dronabinol auch ein wichtiges Arzneimittel zur Behandlung von Appetitlosigkeit sowie, in Kombination mit anderen Antiemetika, zur Behandlung von Übelkeit und Erbrechen bei Tumorpatient*innen im Rahmen einer Chemotherapie.

Cannabinoide in der Palliativmedizin

In der Palliativmedizin haben sich Cannabinoide als Add-on-Therapie zur Behandlung von Cluster-Symptomen etabliert. Zur Appetitsteigerung dient Dronabinol sogar als optionale First-line-Therapie, da die alternativen Medikamente zur Appetitanregung mit Nebenwirkungen verbunden sind, während es bei Dronabinol weder Organtoxizität noch Toleranzentwicklung gibt. „Es besteht zudem keine Gefahr der Atemdepression“, sagt Dr. Grögl-Aringer.

Cannabinoide in der Geriatrie

Auch in der Geriatrie sind Symptomcluster ein wichtiges Einsatzgebiet von Cannabinoiden. Schmerz, Übelkeit, Erbrechen, Inappetenz und Gewichtsverlust, Schlafstörungen sowie ängstlich-dysphorische Stimmungsbilder können mit Dronabinol behandelt werden. Hochbetagte multimorbide Patient*innen sprechen gut auf eine Dronabinol- Therapie an, wobei gerade in dieser Patient*innengruppe auch die generell gute Verträglichkeit eine wichtige Rolle spielt. „Leider wird Dronabinol für geriatrische Patient*innen von den Krankenkassen nur sehr restriktiv bewilligt“, bedauert Dr. Grögl-Aringer.

Cannabinoide in der Neurologie

© Anna Rauchenberger

„Klinischen Studien und Erfahrungen aus der Praxis zeigen eine gute Wirksamkeit von Cannabinoiden bei einer Reihe von neurologischen Erkrankungen“, sagt ÖSG-Past-Präsident Prim. PD Dr. Nenad Mitrovic. Für die Reduktion schmerzhafter Muskelspasmen und Krämpfe sowie eine Verbesserung der Beweglichkeit durch Cannabinoide gibt es eine moderate Evidenz. Bestätigt ist, dass Cannabinoide (Dronabinol; Nabiximols) im Rahmen der Behandlung von multipler Sklerose zum Einsatz kommen können. Die gute Wirkung des CBD-Präparates Epidiolex® bei kindlichen Epilepsieformen (Dravet Syndrom, Lennox-Gastaut-Syndrom) ist erwiesen. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit ist Morbus Parkinson. Hier zeigten CBD und THC in den bislang vorliegenden Studien zwar keine Änderung der motorischen Symptome, jedoch eine Verbesserung der Lebensqualität. THC kann für die Behandlung des Tourette-Syndroms bei Patient*innen ab dem 18. Lebensjahr eingesetzt werden.


In Österreich erhältliche Cannabinoid-Arzneimittel

  • Dronabinol (Delta-9-Tetrahydrocannabinol – THC) unterliegt dem Suchtmittelgesetz. Canemes® enthält das synthetische Cannabinoid Nabilon und ist in Österreich nicht als Suchtgift eingestuft.
  • Nabiximols (Sativex®; Pflanzenextraktmischung von THC und CBD im Verhältnis 1:1) unterliegt als suchtgifthaltiges Arzneimittel der Rezeptpflicht nach dem Suchtmittelgesetz.
  • Epidiolex® (CBD) ist für die Reduktion von Krampfanfällen bei therapierefraktären kindlichen Epilepsieformen und bei tuberöser Sklerose zugelassen.
  • Cannabidiol (CBD) steht in Form einer magistralen öligen Lösung zur Verfügung. Eine Erstattung von Cannabidiol ist nur mit besonderer medizinischer Begründung nach Einholung einer Bewilligung durch den kontrollärztlichen Dienst möglich.

    „Leider ist CBD in Österreich nach wie vor nicht als Arzneimittel gelistet“, bedauert Dr. Mitrovic.

Bericht: Dr. Stefan Wolfinger

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Quelle: Interdisziplinäres Meeting – „Austrian Cannabinoid Experts“. Wien, 9. Juli 2021. Vorsitz: OÄ Dr. Gabriele Grögl-Aringer; Panel: OÄ Dr. Barbara Hoffmann, Prim. Univ.-Prof. Dr. Felix Keil, Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar, MSc, Assoc.-Prof. PD Dr. Eva Katharina Masel, MSc, Prim. PD Dr. Nenad Mitrovic, Dr. Hans Reikersdorfer, OÄ Dr. Waltraud Stromer  

Erscheint in den Schmerz Nachrichten 3/22


21. Österreichische Schmerzwochen

Seit über zwanzig Jahren informiert die ÖSG mit einer jährlichen Kampagne über die neuesten Entwicklungen in der Schmerzmedizin, klärt über das verfügbare Behandlungsspektrum auf und sensibilisiert politische Entscheidungsträger*innen für Notwendigkeiten und Defizite in der Schmerzversorgung.

Inhaltlich orientieren sich die 21. Schmerzwochen am diesjährigen Motto der International Association for the Study of Pain (IASP): „Translating Pain Research to Practice”.


Unterstützt werden die 21. Österreichischen Schmerzwochen von: