Ein Jahrzehnt Schmerzmanagement hat sich gelohnt

Zusammenfassung
Im Universitätsklinikum AKH Wien wurden die Maßnahmen des Schmerzmanagements mittels Prävalenzmessung evaluiert. Die Ergebnisse zeigen signifikante Fortschritte in der Schmerzversorgung. Basierend auf einer umfassenden Analyse liefert die Studie Erkenntnisse über die Schmerzprävalenz und Prozessqualität bei stationär und ambulant-tagesklinisch behandelten Patient:innen. Mit einer moderaten Reduktion der Schmerzprävalenz und einer signifikanten Verbesserung der Schmerzdokumentation und Schmerzmanagementprozesse hebt die Untersuchung die Wirksamkeit evidenzbasierter Implementierungsprojekte hervor. Trotz positiver Entwicklungen bleiben Herausforderungen, insbesondere in der Dokumentation nichtmedikamentöser Maßnahmen sowie zeitlicher Ressourcen für die Beratung der Patient:innen. Dieser Artikel beleuchtet Methodik, Ergebnisse und Handlungsoptionen zur weiteren Verbesserung der Pflegequalität.

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von Ursula Sommer, MSc, Abteilung für Pflege- und Kompetenzentwicklung, Universitätsklinikum AKH Wien, Wiener Gesundheitsverbund


Die nachhaltige Implementierung des Schmerzmanagements wurde durch das Zusammenwirken auf mehreren Ebenen erreicht. Mittels Zielvereinbarungen mit dem obersten Management und den klinischen pflegerischen Bereichs- und Stationsleitungen wurde das Thema begleitet und letztlich verankert. Die Direktion des Pflegedienstes traf die Entscheidung, hausweit pflegerische Themenschwerpunkte zu etablieren, Koordinator:innen einzusetzen und eine Beauftragtenstruktur aufzubauen.

Die Ausgangslage

Das Schmerzmanagement im Universitätsklinikum AKH Wien ist ein von der Pflege koordinierter Themenschwerpunkt. Zur Bestimmung der Ausgangslage wurde 2013 eine erste Prävalenzmessung durchgeführt, deren Ergebnisse einen Handlungsbedarf zeigten. Die hausweite Schmerzprävalenz lag bei 39 %, die durchschnittliche Schmerzintensität lag bei NRS 4,6 (numerische Rating-Skala 0–10), 31 % der Menschen mit Schmerzen berichteten von einer Intensität von NRS 6 oder höher. Bei 17 % wurde eine Skala zur Messung der Schmerzintensität dokumentiert. Nichtmedikamentöse Maßnahmen wurden bei 5 % der Patient:innen dokumentiert [1].

Das Studiendesign

Als Studiendesign wird eine monozentrische, deskriptive quantitative Querschnittstudie gewählt. Das Design orientiert sich am Vorgehen der bereits im Jahr 2013 durchgeführten hausweiten Studie.

Prävalenzerhebung

Eine Prävalenzerhebung ist eine relativ einfache Möglichkeit, Häufigkeiten eines Phänomens zu bestimmen. Die Prävalenz ist einer der typischen Indikatoren der Epidemiologie und beschreibt das Vorkommen eines Phänomens als relative Größe, die sich auf eine Gruppe von Individuen bezieht [2, 3]. Die Prävalenz (oder Prävalenzrate) ist eine wichtige epidemiologische Maßzahl, „die angibt, wie viele Personen […] einer Zielpopulation zu einem bestimmten Zeitpunkt (Punktprävalenz) […] an einer bestimmten Krankheit leiden“. Welche Maßnahmen zum Schutz oder zur Behandlung der Bevölkerung ergriffen werden sollen, ist u. a. von der Höhe der Prävalenzrate abhängig (ebd.). Demzufolge sind Kenntnisse über die Häufigkeit und Merkmale pflegerelevanter Phänomene Grundlage für qualitativ hochwertige Pflege und bilden die Basis für die Weiterentwicklung evidenzbasierter Pflegepraxis [4]. Die Implementierung von Forschungsergebnissen in die Pflegepraxis kann außerdem dazu beitragen, die Professionalität Pflegender zu unterstreichen (ebd.).

Ergebnisse der pflegebezogenen Prävalenzstudie zum Phänomen Schmerz

Die Prävalenz von Schmerzen wurde im Universitätsklinikum AKH Wien 2013 erstmalig erhoben [1]. Aufgrund der Ergebnisse wurde ein großangelegtes Implementierungsprojekt in allen relevanten klinischen Settings (100 von 120 Einheiten), von Allgemeinpflegebereichen, Intensivpflege, Ambulanzen, aber auch Aufwachräumen und OPs gestartet.

Die Implementierung erfolgte systematisch, ausgehend von einer Koordinatorin für Schmerzmanagement in der Direktion des Pflegedienstes und Beauftragten auf jeder Einheit. Die Beauftragten erhielten eine eigens dafür konzipierte einwöchige Fortbildung, in der sie fachliche und Projektmanagement-Kompetenzen erwarben. Der Implementierungsprozess wurde von Advanced Practice Nurses systematisch begleitet. In der Folge wurden 20 einheitsübergreifende Expert:innen in einer 200-stündigen Weiterbildung „algesiologische Pflege“ qualifiziert. Die inhaltlich-fachliche Weiterentwicklung erfolgt gemeinsam mit der Koordinatorin. Viermal im Jahr finden Vernetzungstreffen statt. Der Erfolg der Implementierungen wird durch Audits auf Basis des Expertenstandards Schmerzmanagement in der Pflege gemessen [5]. Bis Ende 2022 konnten 57 Einheiten erfolgreich auditieren.

Die Erhebung von 2022 diente der Evaluation und Analyse, um weiterfolgende Maßnahmen anzupassen. Die Fallzahl ergab sich aus der Anzahl der stationär- oder ambulant-tagesklinisch aufgenommenen Patient:innen, es konnten 811 Personen für Analysen herangezogen werden. Das Design orientierte sich an der 2013 durchgeführten Erhebung, um Vergleiche anstellen zu können. Die Häufigkeit und Ausprägung, die Darstellung des Prozesses der pflegerischen Versorgung sowie die subjektiv von Patient:innen empfundene Beeinträchtigung wurden untersucht [6].

Prävalenz und Schmerzintensität gesunken

Die Schmerzprävalenz konnte im Vergleich zu 2013 um 5,1 % von 38,9 % auf 33,8 % gesenkt werden [6]. International weisen die Schmerzprävalenzen große Unterschiede auf. Eine Untersuchung aus Australien wies eine Punkt-Schmerzprävalenz von 68,1 % auf [7]. Meistens wird die Prävalenz der letzten 24 h gemessen, hier liegen die Werte zwischen 38 und 81,3 % [8,9,10].

Die Schmerzintensität bei jenen Personen, die Schmerzen angaben (n = 212), lag im Durchschnitt bei 4,24 (Median 4,0) auf der 11-teiligen NRS. Während der Anteil der Menschen, die eine Scherzintensität von ≥ 4 äußerten, fast gleich blieb, konnte der Anteil jener Personen mit starken Schmerzen (NRS ≥ 6) von 31 % auf 22,6 % reduziert werden (Tab. 1).

Item20132022
Fallzahl1112811
Prävalenz38,9 %33,8 %
Schmerzintensität NRS (MW)4,64,2
Schmerzintensität NRS ≥ 4 (MW)61 %59,4 %
Schmerzintensität NRS ≥ 6 (MW)31 %22,6 %
Tab. 1: Veränderung von Prävalenz und Schmerzintensität

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Arbeitsprozesse deutlich verbessert

Während 2013 lediglich 58 % der Patient:innen täglich gefragt wurden, ob sie Schmerzen haben, waren es 2022 mit 86 % deutlich mehr, das zeigt, dass die Sensibilität für das Thema gestiegen ist (Abb. 1).

Abb. 1: Tägliche Frage nach Schmerzen 2022 vs. 2013

Ein Instrument zur Schmerzmessung wurde 2013 bei 17 % der Menschen mit Schmerzen verwendet, 2022 lag dieser Wert bei hervorragenden 91 % (Abb. 2). In den allermeisten Fällen wird die NRS verwendet. In der Intensivpflege, bei kognitiv eingeschränkten Menschen und bei Kindern werden die jeweils passenden Instrumente eingesetzt. Dieser Erfolg ist zu einem großen Teil den verschiedenen Schulungsmaßnahmen zu verdanken. 2709 Pflegepersonen hatten zum Zeitpunkt der zweiten Erhebung eine 4‑stündige Schmerz-Kurzschulung absolviert.

Abb. 2: Instrument zur Schmerzmessung 2022 vs. 2013
Medikamentöse und nichtmedikamentöse Maßnahmen

Während 65 % der Patient:innen nach Schmerzäußerung Medikamente zur Reduktion der Schmerzen angeboten wurden, lag dieser Wert bei nichtmedikamentösen Maßnahmen lediglich bei 31 %. Bei der ersten Studie 2013 lag dieser Wert noch bei 5 %.

Nichtmedikamentöse Maßnahmen wie Positionskorrekturen, Gespräche, Aromapflege oder Wärme‑/Kälteanwendungen stellen eine wichtige Ergänzung zur Linderung der Schmerzen dar und sollten jede Medikation begleiten, da sie auch auf der psychosozialen Ebene einen positiven Effekt auf den Heilungsprozess haben [11, 12]. Zum Zeitpunkt der Erhebung 2022 hatten 169 Pflegepersonen die 8‑stündige Fortbildung Aromapflege besucht und 142 Personen die ebenfalls 8‑stündige Fortbildung nichtmedikamentöse Maßnahmen.

Die Ergebnisse liefern wertvolle Hinweise für die Weiterentwicklung des Themas. Sie zeigen auf, dass die Systematik der Beauftragten und der professionellen Prozessbegleitung erfolgreich war und beizubehalten ist.

Schlussfolgerungen

Die Prävalenzerhebung 2022 zeigt, dass evidenzbasierte Pflege und strukturierte Implementierungsprozesse effektiv zur Verbesserung des Schmerzmanagements beitragen. Dafür sind die Fortsetzung von Auditierungen und Schulungsmaßnahmen unter anderem im Bereich der nichtmedikamentösen Maßnahmen, Aromapflege und Edukation erforderlich. Die nachhaltige Sicherung der Umsetzung wird durch Pflegequalitätsvisiten und Expert:innen-Foren gewährleistet. Zukünftig sind Dienstposten für Pain Nurses Practitioners (ANPs) zur Unterstützung der Schmerzversorgung unumgänglich.

Literatur
  1. Schneeweiss S, Németh C, Kozon V, Weber K. Pflegebezogene Prävalenzmessung zum Phänomen. Schmerz. 2014;. Wien: Allgemeines Krankenhaus der Stadt Wien.
  2. Bartholomeyczik S, Nonn CR. Fokus: Epidemiologie und Pflege. Hannover: Schlütersche Verlagsgesellschaft-mbH & Co. KG; 2005.
  3. Bortz J, Döring N. Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler. Heidelberg: Springer; 2006.
  4. Polit DF, Beck CT, Hungler BP. Lehrbuch Pflegeforschung. Methodik, Beurteilung und Anwendung (2. Ausg.). Bern: Huber; 2012.
  5. Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (Hrsg.) (2020). Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege. Osnabrück.
  6. Schneeweiss S, Nemeth C, Breuer R, Sommer U, Mühl K. AKH-weite pflegebezogene Prävalenzstudie zu den Phänomenen Schmerz, komplexe Wundsituationen, Inkontinenz und kognitive Beeinträchtigung. Forschungsbericht. Wien: Universitätsklinikum AKH Wien; 2022.
  7. Saunders R, Crookes K, Seaman K, Ang SG, Bulsara C, Bulsara MK, Etherton-Beer C. Frailty and pain in an acute private hospital: an observational point prevalence study. Sci Rep. 2023;13(1):1–8.
  8. Damico V, Murano L, Cazzaniga F, Dal Molin A. Pain prevalence, severity, assessment and managment in hospitalized adult patients: a result of a multicenter cross sectional study. Ann 1st Super. Sanità. 2018;54(3):194–200.
  9. Mitello L, Coaccioli S, Muredda C, Nicosia R, Ceccarelli I, Marucci A, Latina R. Pain prevalence in two italian hospitals. An observational study. La Clinica Terapeutica. 2022;173(2):164–73.
  10. Becerra-Bolaños Á, Armas-Domínguez A, Valencia L, Jiménez-Marrero P, López-Ruiz S, Rodríguez-Pérez A. Pain prevalence and satisfaction with pain managment in inpatients: A cross-sectional study. Healthcare. 2023;11(24):1–10.
  11. Geyrhofer S. Pflegetherapie im Schmerzmanagement. 1. Aufl. Wien: Facultas; 2022. S. 105.
  12. Varr E, Mann E. Schmerz und Schmerzmanagement. Praxishandbuch für Pflegeberufe. 3. Aufl. Bern: Huber; 2014. S. 161.

erschienen in SCHMERZ NACHRICHTEN 2/2025