Gesundheitsprogramme gegen Schmerzen am Bewegungs- und Stützapparat

Der Nacken zieht, der Rücken zwickt, das neue Knie meldet sich  bei jedem Schritt: Mit Angeboten wie „Kur neu“ oder orthopädischer Rehabilitation lassen sich Schmerzen am Bewegungs und Stützapparat gut lindern. Doch oft landen Patient*innen im falschen Gesundheitsprogramm, kritisiert Dr. Johannes Püspök.


Beschwerden am Bewegungs- und Stützapparat sind langwierig und in Österreich die dritthäufigste Ursache für Krankenstände. Zwei öffentlich finanzierte Gesundheitsprogramme helfen, Muskel-Skelett-Erkrankungen in den Griff zu bekommen: Die Gesundheitsvorsorge Aktiv (GVA), auch als „Kur neu“ bekannt, richtet sich an Menschen mit leichten und bis mittelschweren Symptomen. Die orthopädische Rehabilitation hingegen hilft Patient*innen mit starken Beschwerden oder nach einer Operation. „Beide Programme helfen nachweislich, um eine Chronifizierung von Schmerzen zu verhindern und können starke Schmerzen, Einschränkungen im Alltag und Krankenstandstage reduzieren“, erklärt Prim. Dr. Johannes Püspök, Ärztlicher Leiter im Moorheilbad Harbach.

„Gesundheitsvorsorge Aktiv“

Bis zu 90.000 Patient*innen nehmen in Österreich jährlich das Programm „Gesundheitsvorsorge Aktiv“ (GVA) in Anspruch – mit großem Erfolg, wie eine Evaluierung des Ludwig-Boltzmann-Instituts zeigt. Demnach profitieren rund Dreiviertel aller Patient*innen, für die das Angebot gedacht ist, unmittelbar vom stationären Aufenthalt. Über 90 % gaben an, dass sich ihre Beschwerden gebessert hatten. „Enttäuschung und Misserfolge sind allerdings dann vorprogrammiert, wenn sich Patient*innen bei der Gesundheitsvorsorge Aktiv noch die traditionelle österreichische Kur erwarten, also Erholung und passive Anwendungen wie Moorpackungen“, berichtet Prim. Püspök. Fakt ist aber: Dreiviertel der Therapien im Rahmen der Gesundheitsvorsorge Aktiv sind auf Bewegung ausgerichtet und erfordern aktive Teilnahme. „Oft haben GVA-Patient*innen keine Ahnung, was sie erwartet, wohl auch, weil die zuweisenden Ärzt*innen das Konzept der reformierten Kur noch nicht ausreichend kennen“, so Prim. Püspök.

Prim. Dr. Johannes Püspök, Ärztlicher Leiter im Moorheilbad Harbach
© Moorheilbad Harbach

Ein anderes Problem ist, dass bis zu einem Drittel der Patient*innen mit der GVA wenig anfangen können: Sie haben zu starke Beschwerden, um an den Therapien und Übungen teilzunehmen. Prim. Püspök: „Wenn Patient*innen im Alltag einen Rollator brauchen, also eingeschränkt mobil sind, können wir im Rahmen der GVA keine therapeutische Einzelgymnastik anbieten. Wenn sie nicht zehn Sekunden auf einem Bein stehen können, kommt ein Sensomotorik-Training für sie nicht in Frage. In diesen Fällen können wir nur die Therapien reduzieren und eventuell umstellen, aber die Patient*innen bekommen trotzdem nicht das, was sie brauchen. Das sind Patient*innen, die eine Rehabilitation benötigen, die aber, aus welchen Gründen auch immer, in die GVA geschickt wurden.“ Prim. Püspök appelliert an die Haus- und Fachärzt*innen, sich genau über die Gesundheitsprogramme zu informieren und ihre Patient*innen an das jeweils geeignete zu überweisen.

Zu einem gesünderen Lebensstil motivieren

Die „Kur neu“ ist in Modulen aufgebaut und behandelt nicht nur das Grundleiden, zum Beispiel Gelenkschmerzen, sondern nimmt auch Lebensstilfaktoren wie Bewegung, mentale Gesundheit und Ernährung in den Fokus. Das Basismodul der GVA besteht aus Bewegungstherapie, Kraft- bzw. Ausdauertraining, Entspannungstraining und bei Bedarf Raucherberatung. Zusätzlich werden drei Aufbaumodule zur individuellen Gestaltung der Therapie angeboten: Das Modul „Bewegungsoptimierung“ eignet sich für Patient*innen, die bereits regelmäßig körperlich aktiv sind. Therapeut*innen überprüfen, ob die Bewegung richtig durchgeführt wird und geben Optimierungsempfehlungen, um Spätschäden zu verhindern. Wieder Lust an sportlichen Aktivitäten machen soll das Modul „Bewegungsmotivation“. Das Modul „mentale Gesundheit“

richtet sich an Patient*innen, die beruflich oder privat an psychischen Belastungen leiden: Stressprävention, Entspannung- und Abgrenzungstechniken sowie die Stärkung von Selbstschutzmechanismen stehen hier im Mittelpunkt. Ergänzungsmodule beschäftigen sich mit gesunder Ernährung und Workshops zu den Themen „Beruficher Alltag und gesundes Leben“. Für Pensionist*innen gibt es das Programm „Aktiv und selbstbestimmt im Alltag – ein Leben lang“.

Bewegungstherapie, Kraft- und Ausdauertraining sind wesentliche Elemente des Basismoduls der „Gesundheitsvorsorge Aktiv“ © Racle Fotodesign/stock.adobe.com

In weiteren Therapien kann noch individueller auf die Bedürfnisse der Patient*innen eingegangen werden. „Wir setzen ganz stark auf Motivation und Lebensstilmodifikation“, erklärt Prim. Püspök. Ziel ist es, dass die Patient*innen nach drei Wochen „Kur“ eigenverantwortlich weitermachen. „Mit einem entsprechenden Lebensstil können Patient*innen dreimal mehr für ihre Gesundheit tun, als es das medizinische System zu leisten vermag“, unterstreicht Prim. Püspök.

Orthopädische Rehabilitation bei schweren Fällen

Für Patient*innen, die an schweren chronischen Schmerzsymptomen leiden oder eine Operation hinter sich haben, ist eine multimodale Schmerztherapie im Rahmen der orthopädischen Rehabilitation ein geeignetes Gesundheitsprogramm. Eine intensivierte, multimodale orthopädische Rehabilitation wirkt sich nachhaltig positiv aus: „Der subjektive Gesundheitszustand der Patienten wird besser und die Intensität ihrer Schmerzen lässt nach“, berichtet Prim. Püspök. Bei Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparats durch entzündliche und degenerative Erkrankungen, Verletzungsfolgen oder nach operativen Eingriffen kann eine dreiwöchige stationäre orthopädische Rehabilitation in Anspruch genommen werden.

Ziele des Reha-Aufenthalts:
– die stützende und schützende Rückenmuskulatur stärken,
– Bewegungsdefzite und Schmerzen verringern,
– Mobilität steigern,
– Selbstständigkeit wiedererlangen.

Bei Patientinnen, die eine Operation hinter sich haben, sorgt die Reha für eine rasche und möglichst umfassende Wiederherstellung der Funktionalität des operierten Bereichs. „Durch die Reha soll die Gesundheit wiederhergestellt und die Patientinnen wieder in ihr soziales und berufliches Umfeld integriert werden“, so Prim. Püspök abschließend.

Bericht: Dr. Stefan Wolfinger

erschienen in Schmerz Nachrichten 04/2022


Quelle: Evaluierung der „Gesundheitsvorsorge aktiv“; https://www.researchgate.net/publication/329117346_Gesundheitsvorsorge_Aktiv_GVA_vs_Kur


21. Österreichische Schmerzwochen

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