Invasive Verfahren gegen Schmerzen des Stütz- und  Bewegungsapparats

Punktgenaues Einspritzen von Schmerzmitteln kann Beschwerden im Stütz- und Bewegungsapparat kurzfristig lindern – und Patient*innen damit die nötige Bewegungstherapie ermöglichen. Invasive Verfahren sind zudem als Diagnoseinstrument einsetzbar.


Schmerzen des Muskel-Skelett-Systems können von vielen, unterschiedlichen Teilen des Körpers ausgehen, etwa den Gelenken, Nerven, Bandscheiben, Muskeln, Sehnen und Bändern. „Gerade im Bereich der Wirbelsäule gibt es zudem meistens mehrere Schmerzgeneratoren“, sagt Prim. Mag. Dr.
Gregor Kienbacher, Ärztlicher Leiter des Klinikum Theresienhof Frohnleiten. Entsprechend schwierig könne es manchmal sein, exakt zu lokalisieren, woher der Schmerz kommt. Es braucht daher eine klare Vorgangsweise bei der Untersuchung.

Prim. Mag. Dr. Gregor Kienbacher, Ärztlicher Leiter des Klinikum Theresienhof Frohnleiten
© Theresienhof

Gehen die Schmerzen von den Iliosakral- und Wirbelgelenken, von diskoligamentären Strukturen (Bandscheiben) oder Nervenwurzeln aus, so sind die zur Verfügung stehenden spezifischen klinischen Tests zur Diagnostik oft nicht eindeutig. Zwar sind anatomische Veränderungen in hochauflösenden bildgebenden Verfahren wie Röntgenuntersuchung, Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) zu erkennen, aber das bedeutet noch nicht, dass die Schmerzen auch genau dort ihren Ursprung haben. Bestehen die Schmerzen schon über mehrere Wochen und die bisher angewandten Therapien zeigten keinen Erfolg, so kommt zur weiteren Diagnostik ein invasives Verfahren ins Spiel: Ähnlich einer „Betäubungsspritze“ beim Zahnarzt unterbricht ein unter optischer Führungshilfe injiziertes Lokalanästhetikum vorübergehend die Leitfähigkeit eines Nervs. „Wenn die richtige Struktur blockiert wurde, also der Schmerz plötzlich weg ist, können wir sicher sein, wo genau das Problem liegt und welche spezifische Therapie einzuleiten ist – ein exzellentes zusätzliches ärztliches Diagnosewerkszeug“, sagt Prim. Kienbacher. Dieses Prinzip lässt sich auch an den unterschiedlichen schmerzauslösenden Strukturen der Wirbelsäule sehr gut anwenden.

Das beschriebene invasive Verfahren hilft auch herauszufinden, ob Schmerzpatientinnen eine Operation benötigen oder nicht. „Damit kann so manche unnötige OP vermieden werden. Die Erkenntnisse aus der invasiven Diagnostik können zudem dazu beitragen, dass chirurgische Eingriffe erfolgreicher und Patientinnen mit dem Operationsergebnis letztendlich zufriedener sind. Leider wird dieser Diagnose-Ansatz in Österreich – aus Kosten- oder Zeitgründen – nur selten durchgeführt“, bedauert Prim. Kienbacher.


Multimodale Schmerztherapie

Mit Schmerzmittel-Infiltrationen kann bei akuten Beschwerden Schmerzlinderung oder gar Schmerzfreiheit hergestellt werden. Doch auch hier müssen anschließend weitere Präventivmaßnahmen zur Rückengesundheit ergriffen werden, um die Schmerzen dauerhaft loszuwerden. Bei Patientinnen mit chronischen Schmerzen muss hingegen genau abgewogen werden, ob eine invasive Therapie sinnvoll ist. „Leider wird bei chronischen Schmerzpatientinnen oft voreilig gestochen. Wenn sie schon unzählige Infiltrationen oder Operationen hinter sich haben, zeigen diese Therapien häufig keinen anhaltenden Effekt mehr oder können sogar zu einer zusätzlichen Schmerzsensibilisierung führen“, warnt Prim. Kienbacher.

Mit der punktgenauen Injektion an den Schmerzgenerator kann auch bei Patientinnen mit chronischen Schmerzen eine temporäre Schmerzreduktion erreicht werden, die mehrere Tage bis Wochen anhalten kann. „Dieses Zeitfenster muss dann genutzt werden, um die chronischen Schmerzpatientinnen körperlich zu aktivieren“, erklärt Prim. Kienbacher. Denn Bewegung sei nachweislich das Um und Auf, um chronische Schmerzen des Stütz- und Bewegungsapparats in den Griff zu bekommen. „Chronische Schmerzpatientinnen vermeiden in der Regel die Bewegung, alleine schon aus Angst, diese könnte weitere Schmerzen verursachen“. Durch die Schmerzmittel-Infiltration kann der Schmerz für eine gewisse Zeit auf ein Maß reduziert werden, das den Beginn von körperlich aktivierenden Therapieformen leichter macht. Prim. Kienbacher betont: „Die Ärztinnen müssen den Patienteninnen klar sagen, dass diese ‚Spritze‘ nur kurzfristig hilft, aber ein guter Start in die aktivierenden Therapieformen ist.“ Die invasive Schmerztherapie darf also keinesfalls als Monotherapie gesehen werden, allein kann sie weder Schmerzursachen beseitigen noch das Wiederkehren der Schmerzen verhindern. „Für chronische Schmerzpatientinnen ist sie eine Komponente einer multimodalen Schmerztherapie, bei der der aktivierende Ansatz im Mittelpunkt steht und die aus medikamentöser Therapie, Physiotherapie, Ergotherapie, Massagetherapie, physikalischen Modalitäten und psychologischen bzw. psychotherapeutischen Verfahren besteht“, resümiert Prim. Kienbacher.

Bericht: Dr. Stefan Wolfinger

erschienen in Schmerz Nachrichten 04/2022


21. Österreichische Schmerzwochen

Seit über zwanzig Jahren informiert die ÖSG mit einer jährlichen Kampagne über die neuesten Entwicklungen in der Schmerzmedizin, klärt über das verfügbare Behandlungsspektrum auf und sensibilisiert politische Entscheidungsträger*innen für Notwendigkeiten und Defizite in der Schmerzversorgung.

Inhaltlich orientieren sich die 21. Schmerzwochen am diesjährigen Motto der International Association for the Study of Pain (IASP): „Translating Pain Research to Practice”.


Unterstützt werden die 21. Österreichischen Schmerzwochen von: