Invasive Verfahren in der Therapie des Gesichts- und Kopfschmerzes

21. Österreichische Schmerzwochen: Patient*innen mit Gesichts- oder Kopfschmerzen müssen sich nicht mit einem Leben mit Schmerzen abfinden, wenn konservative Therapiemaßnahmen versagen. Eine Reihe von invasiven Verfahren kann Schmerzlinderung bringen und sollte diesen Patient*innen ermöglicht werden. Neurochirurgische Operationen müssen im Rahmen eines interdisziplinären Behandlungskonzepts durch erfahrene Neurochirurg*innen durchgeführt werden.

Schmerzen im Gesicht oder Kopfbereich lassen sich in den meisten Fällen mit Medikamenten, Methoden der physikalischen Medizin oder einer Verhaltenstherapie lindern. Aber selbst wenn konservative Therapieansätze versagen, müssen sich Patient*innen nicht damit abfinden, mit starken Schmerzen zu leben. „Als letzte Stufe der Schmerztherapie können wir diesen Patient*innen mit einer Reihe von erprobten, wirksamen invasiven Verfahren helfen“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Wilhelm Eisner, Vizepräsident der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG), Universitätsklinik für Neurochirurgie, Medizinische Universität Innsbruck, anlässlich der 21. Schmerztage der ÖSG. Der Fokus der aktuellen Informationswoche liegt auf Gesichts- und Kopfschmerzen.

Schmerzlinderung bei Trigeminusneuralgie

Eine besonders heftige Schmerzform im Gesichts- und Kopfbereich sind Gesichtsneuralgien, also Schmerzen die von Nerven ausgehen. Diese treten in messerscharfen, sehr intensiven Attacken von einigen Sekunden bis maximal Minuten auf, immer an derselben Stelle und eher einseitig. Die meisten Gesichtsneuralgien gehen vom Trigeminusnerv aus. Eine Operation kann sinnvoll sein, wenn Schmerzmedikamente nur unzureichend wirken. „Mögliche Ursache der Schmerzen ist ein pathologischer Gefäß-Nerven-Kontakt in einem kurzen Stück vor dem Eintritt des Trigeminusnervs in den Hirnstamm. Als Goldstandard des neurochirurgischen Eingriffs gilt die sog. mikrovaskuläre Dekompression nach Jannetta: Dabei werden die Kontakte zwischen Arterien und Hirnnerven in der hinteren Schädelgrube beseitigt, indem ein kleines Stückchen Kunststoff als Puffer zwischen Gefäß und Nerv eingefügt wird“, erklärt Prof. Eisner, der auch bei Peter Jannetta gelernt hatte.

Eine andere Behandlungsmöglichkeit ist das perkutane Verfahren der Thermokoagulation: Dabei werden ein oder mehrere Äste des Trigeminusnervs mit Hitze kontrolliert geschädigt, um die Schmerzentstehung und -weiterleitung zu unterbinden.

Weitere Gesichtsschmerzen aufgrund irritierter Nerven sind die Hypoglossusneuralgie und Okzipitalisneuralgie. „Auch bei diesen Erkrankungen kann beim Versagen medikamentöser Therapien das Verfahren der mikrovaskulären Dekompression (nach Jannetta) zum Einsatz kommen und den Patient*innnen ein Stück Lebensqualität zurückgeben“, sagt Prof. Eisner.

Elektrische Stimulation gegen Trigeminusneuropathie

Nicht zu verwechseln ist die Trigeminusneuralgie mit der Trigeminusneuropathie, die auch als „persistent facial pain“ bezeichnet wird: „Der Hintergrund ist eine Verletzung des somatosensorischen Systems, das heißt, eine Verletzung des N. trigeminus durch einen Unfall oder durch eine Operation. Die Patient*innen haben meist einen anhaltenden brennenden Dauerschmerz in einem Bereich des Gesichts, in dem auch eine Gefühlsstörung besteht, ähnlich einer betäubten Wange durch die Betäubung beim Zahnarzt“, sagt Prof. Eisner. Eine konservative Schmerzbehandlung ist bei der Trigeminusneuropathie möglich, aber häufig unzureichend. Eine elektrische Stimulation des Trigeminusnervs kann hingegen schmerzlindernd wirken: Über eine Kanüle wird eine dünne Stimulationselektrode an den Nervenknoten Ganglion Gasseri oder an einen peripheren Ast des Trigeminusnervs angebracht. Mit schwachen Stromimpulsen wird der Dauerschmerz durch ein angenehmes Kribbelgefühl überlagert und somit eine Schmerzreduktion erzielt.

Okzipitalnervenstimulation und tiefe Hirnstimulation gegen Clusterkopfschmerzen

Clusterkopfschmerz ist eine Form von Kopfschmerz von unerträglicher Intensität. Die Attacken treten innerhalb mehrerer Wochen und Monate in Serien („Clustern“) auf und können bis zu zwei Stunden anhalten. Sind in sehr seltenen Fällen die Clusterkopfschmerzen nicht mit Medikamenten oder Sauerstoff in den Griff zu bekommen, kann eine Okzipitalnerven-Infiltration durchgeführt werden, die je nach Dauer der Wirksamkeit immer wieder wiederholt werden kann. Bei manchen Patient*innen kann eine Hitzeverödung vorübergehend die Schmerzweiterleitung blockieren und somit einen guten und anhaltenden Effekt bringen. Auch kann eine Stimulation mit einer implantieren Elektrode (ONS) schmerzlindernd wirken. Dabei erfolgt eine leichte elektrische Stimulation der Nerven über Drähte/Elektroden, die direkt unter die Haut, nahe/über dem Okzipitalnerv an der Basis des Kopfes implantiert werden. „Damit lassen sich bei einigen Patient*innen die Häufigkeit und Intensität von Schmerzattacken verringern und sie kommen dann mit weniger Schmerzmedikamenten aus“, berichtet Prof. Eisner. Eine weitere neurochirurgische Option bei therapieresistenten Clusterkopfschmerzen ist die tiefe Hirnstimulation. Dabei werden Platinelektroden in einem Bereich des Hypothalamus platziert und eine blockierende Hochfrequenzstimulation durchgeführt.

Invasive Verfahren im Rahmen eines interdisziplinären Behandlungskonzeptes

Prof. Eisner betont, dass Gesichts- und Kopfschmerzen komplexe Erkrankungen sind. Alle invasiven Behandlungsmethoden müssen daher im Rahmen eines Behandlungskonzepts eingesetzt werden, bei dem Neurolog*innen, Schmerztherapeut*innen, Psycholog*innen und Chirurg*innen eng kooperieren. „Bei neurochirurgischen Therapieverfahren sollten auf jeden Fall Neurochirurg*innen hinzugezogen werden, denn diese sind seitens der Facharztordnungen für Eingriffe am Nervensystem zuständig“, sagt Prof. Eisner, wissend, dass sich auch andere medizinische Disziplinen der invasiven Neuromodulation bedienen. Komplikationen müssen von den durchführenden Ärzt*innen auf jeden Fall beherrschbar sein.

Nebenwirkungen und Erfolgsaussichten

Bei allen invasiven Therapieformen ist wichtig, dass ihr schmerzlindernder Nutzen deutlich über den Risiken des Eingriffs steht und die Patient*innen detailliert aufgeklärt werden: „Neurochirurg*innen müssen ihren Patient*innen berichten, welche Wirksamkeit, aber auch welche Morbidität und Mortalität es bei den jeweils von ihnen durchgeführten Therapien gegeben hat“, betont Prof. Eisner. Genauso müssten sie über mögliche Risiken und Komplikationen wie etwa Gefühlsstörungen im Gesicht aufgeklärt werden. „Auch darf man keine zu hohen Erwartungshaltungen erwecken. Selbst Operationen wie diese sind keine Garantie für völlige Schmerzfreiheit.“

Aufklärung und Ausbildung verbessern

Leider wissen viele schwer schmerzkranke Patient*innen gar nicht, dass es nach zahlreichen vergeblichen Therapieansätzen noch eine letzte Möglichkeit der Schmerztherapie gäbe. „Ihnen nicht die Chancen der invasiven Therapien zu bieten, bedeutet, sie wissentlich ihrem Elend zu überlassen“, kritisiert Prof. Eisner. Er fordert bessere Patient*innen- Aufklärung, ortet aber auch einen Informationsmangel bei Ärzt*innen: „Für Schulungszwecke versuchen wir, alle in Österreich durchgeführten Eingriffe vollständig zu dokumentieren und wünschen uns, dass die neurochirurgische Schmerztherapie verstärkt Eingang in die Lehre findet“, sagt Prof. Eisner.

Bericht: Dr. Stefan Wolfinger

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Weiterführende Literatur

1. Eisner W. Neurochirurgische Therapie von atypischen neuropathischen Gesichtsschmerzen und Clusterkopfschmerz mit Darstellung von Kernaspekten neurochirurgischer Schmerztherapie. J Neurol Neurochir Psychiatr. 2016;17(2):39–48-
2. Eisner W. Europäische Vernetzung in der Schmerztherapie vorantreiben. Schmerz Nachrichten. 2016;1:9.
3. Eisner W. Neurochirurgische Methoden in der Schmerztherapie Teil 1. Schmerz Nachrichten. 2016;2:16–8.
4. Eisner W. Stellenwert intrazerebraler Verfahren bei der Schmerzbehandlung. Neurochirurgische Methoden in der Schmerztherapie Teil 3. Schmerz Nachrichten. 2016;3:26–8.
5. Eisner W. Läsionelle Verfahren in der Schmerzbehandlung. Neurochirurgische Methoden in der Schmerztherapie Teil 4. Schmerz Nachrichten. 2016;4:44–5.
6. Eisner W. Nichtmanuelle Schmerztherapie der Lenden-Becken-Hüft-Region. Man Medizin. 2018;56:36–44.
7. Eisner W. Stellenwert der Neuromodulation bei Funktionsstörungen der Hand. Man Medizin. 2019;57:21–9.

Erschienen in den Schmerz Nachrichten 2/22


21. Österreichische Schmerzwochen

Seit über zwanzig Jahren informiert die ÖSG mit einer jährlichen Kampagne über die neuesten Entwicklungen in der Schmerzmedizin, klärt über das verfügbare Behandlungsspektrum auf und sensibilisiert politische Entscheidungsträger*innen für Notwendigkeiten und Defizite in der Schmerzversorgung.

Inhaltlich orientieren sich die 21. Schmerzwochen am diesjährigen Motto der International Association for the Study of Pain (IASP): „Translating Pain Research to Practice”.


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