Long COVID: Psychologische Unterstützung als wichtiger Teil der Therapie

22. Österreichische Schmerzwochen 2023

Die medizinischen Leitlinien zur Behandlung von Long COVID empfehlen ein breites Spektrum an Maßnahmen, um Symptome zu lindern und eine Chronifizierung der Beschwerden zu verhindern. Eine wichtige Säule dabei ist Psychotherapie bzw. psychologische Unterstützung.

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„Besonders wichtig für Long COVID-Patient:innen ist die Stärkung persönlicher Ressourcen. Psycholog:innen vermitteln zudem, wie Betroffene die Schlafqualität verbessern, Stress und Schmerzen reduzieren und entspannen können“, erklärt Psychologin Mag. Jasmin Haberstroh.

Beschwerden, die länger als vier Wochen nach einer SARS-CoV-2-Infektion auftreten oder bestehen bleiben, werden als Long COVID bezeichnet; solche, die länger als zwölf Wochen nach Infektion auftreten oder anhalten als Post COVID. „Im täglichen Sprachgebrauch hat sich aber für beides der Begriff Long COVID durchgesetzt“, sagt Mag. Haberstroh.

Von Long COVID sind bis zu 15 % jener Menschen betroffen, die eine COVID-19-Infektion überstanden haben. Mittlerweile werden der Long COVID-Erkrankung mehr als 200 Symptome zugeordnet. Die Beschwerden können das Alltagsleben erheblich einschränken. Das häufigste Symptom ist eine starke Erschöpfung (Fatigue). Dabei treten bereits nach geringer geistiger oder körperlicher Anstrengung rasch ausgeprägte Ermüdungserscheinungen auf. Zusätzlich können sich bei physischer Betätigung auch Atemnot, Kopfschmerzen, Muskelschmerzen, Gelenksschmerzen sowie Riech- und Geschmacksstörungen einstellen. Auch Schlafstörungen und Posttraumatische Belastungsstörung, Angst und Depression können Symptome sein. Long COVID-Betroffene berichten weiters von Denk- und Konzentrationsstörungen. Sie haben Merkschwierigkeiten und Probleme, komplexere Zusammenhänge zu erfassen. „Man spricht hier auch von ‚Brain Fog‘. Etwa wenn Patient:innen ihre Brille ins Gefrierfach legen oder die Hausübung mit ihrem Kind nicht mehr machen können, weil geistig alles ‚wie vernebelt‘ und die Konzentration weg ist“, erklärt die Psychologin.

Patient:innen sollten psychologische Hilfe in Anspruch annehmen, wenn sie vier Wochen nach einer Covid-19-Erkrankung nach wie vor sehr erschöpft sind, die Symptome den Alltag negativ beeinflussen oder das Gefühl besteht, „den Boden unter den Füßen verloren zu haben“.

Psychologische Unterstützung hilft, den Leidensdruck zu reduzieren. „Eine Entlastung für Long COVID-Patient:innen ist es bereits, wenn sie wertgeschätzt werden und der Psychologin, dem Psychologen einfach erzählen können, wie es ihnen geht“, stellt Mag. Haberstroh fest. Wesentlich für die Krankheitsbewältigung (Coping) ist die Vermeidung unnötiger Angst und Unsicherheit: „Es geht darum, den Selbstwert der Patient:innen zu stärken und sie zu einem neuen, achtsameren Umgang mit sich selbst zu bringen.“ Dazu dienen Techniken wie Achtsamkeitsübungen, Atementspannung, Genusstraining (Sehen, Hören, Spüren, Schmecken), Meditation, progressive Muskelrelaxation, Ohrakupunktur bzw. -pressur, Antistressklopfen, autogenes Training, Biofeedback bis hin zur klinischen Hypnose. Wichtig ist auch, den Patient:innen konkrete Empfehlungen zur Entspannung mitgeben zu können. „Dafür gibt es sehr gute kleine Bücher mit wenig Text und CDs, die Entspannungsübungen anleiten“, sagt die Psychologin.

Long COVID-Patient:innen sollen lernen, ihre Erkrankung und ihre Symptome besser zu verstehen. Das stärkt die Selbstwirksamkeit und die Patient:innen bekommen die Überzeugung, selbst etwas tun zu können, um ihren Zustand zu verbessern. Dieses Selbstmanagement reduziert Ängste und das Gefühl, der Erkrankung ohnmächtig ausgeliefert zu sein.

Betroffene lernen, ihre Erholungs- und Belastungsphasen auszubalancieren und mit der verfügbaren Energie zu haushalten. Dieses als „Pacing“ bezeichnete personenzentrierten Verfahren lotet die individuellen Grenzen der körperlichen, kognitiven und emotionale Energie aus. „Pacing ist ein Instrument, um eine post-exertionale Erschöpfung zu verhindern und zu reduzieren“, erklärt Mag. Haberstroh. Aktivitätsprotokolle sowie Herzfrequenz- und Aktivitätsmonitore verdeutlichen den Patient:innen dabei, wann sie ihre individuellen Energiegrenzen überschreiten. „Hilfreich ist auch Ressourcenarbeit – indem die Patint:innen etwa alte Hobbys reaktivieren oder neue Dinge ausprobieren. Statt darüber zu grübeln, was alles nicht mehr geht, sollte gefragt werden, was trotz körperlicher und psychischer Einschränkung möglich ist und gut tut“, so Mag. Haberstroh: „Die Patient:innen sollen sich sagen: ‚Ich bin es mir wert, dass es mir gut geht‘.“

Zahl der chronisch Kranken wird ansteigen

„Wir müssen uns darauf einstellen, dass aufgrund von Long COVID die Zahl chronisch kranker Personen steigen wird“, warnt die Gesundheitspsychologin. Es wird immer mehr Patient:innen geben, die aufgrund physischer und psychischer Erschöpfungszustände in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt oder nicht arbeitsfähig sind. Ein Teil der Long COVID-Patient:innen ist sogar ans Bett gebunden und hat hohe Pflegebedürftigkeit. „Es braucht nicht nur mehr Behandlungsangebote für diese Patient:innengruppe durch Ärzt:innen verschiedener Fachdisziplinen und Psycholog:innen, sondern auch mehr Forschungsanstrengungen zur Long COVID und jedenfalls mehr Verständnis für die Erkrankten in der Gesellschaft“, fordert Mag. Haberstroh abschließend.

Bericht: Dr. Stefan Wolfinger

Erschienen in den Schmerz Nachrichten 1/2023


22. Österreichische Schmerzwochen

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Der Schwerpunkt der aktuellen Informationskampagne liegt auf der Behandlung von Long COVID-Symptomen.


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