Long COVID-Schmerzen mit „integrativer Therapie“ behandeln

22. Österreichische Schmerzwochen 2023

Auch Wochen nach einer SARS-CoV-2-Infektion können zahlreiche gesundheitliche Beschwerden bestehen bleiben oder neu auftreten. Dazu zählen auch Schmerzen. Der komplexen Long COVID-Erkrankung kann mit dem ganzheitlichen Behandlungsmodell der integrativen Medizin begegnet werden.

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Es gibt noch keine Therapien, die Long COVID ursächlich therapieren oder das Entstehen der Krankheit verhindern könnten. Bei den Behandlungen geht es daher darum, die zahlreichen Symptome zu lindern und damit die Lebensqualität zu verbessern, Arbeitsfähigkeit zu erhalten, Pflegebedürftigkeit und die Chronifizierung von Schmerzen zu verhindern. „Dabei sollte mitunter auf das Behandlungsmodell ‚integrative Therapie‘ gesetzt werden. Integrativ bedeutet das Zusammenführen jahrtausendealter ganzheitsmedizinischer Gesundheitssysteme mit der auf der klassischen Naturwissenschaft gegründeten konventionellen Schulmedizin. Diese interdisziplinäre und ganzheitliche Herangehensweise fördert auch die Patientenaktivierung und Selbsthilfekompetenz.“, sagt ÖSG-Vorstandsmitglied OA Dr. Michael Wölkhart, von der Abteilung Physikalische Medizin und Rehabilitation, Salzkammergut Klinikum Vöcklabruck.

Schmerz als Long COVID-Symptom

Über 200 Symptome werden mittlerweile als Folge von Long COVID ermittelt. Die Symptome können zu unterschiedlich starken Beeinträchtigungen führen – von geringfügiger Leistungsminderung bis hin zu höhergradigen Einschränkungen sowie andauernden Krankheitssymptomen. Chronische Erschöpfung (Fatigue) ist eines der häufigsten Symptome, aber Long COVID-Patient:innen leiden oft auch an Kopf-, Muskel- oder Gelenksschmerzen, insbesondere im Thoraxbereich. „Positiv ist, dass es bei einer deutlichen Anzahl von COVID-Patient:innen im Verlauf zu einer Spontanheilung oder einer deutlichen Abschwächung der Symptome kommt, auch bei den Schmerzen“, sagt Dr. Wölkhart. Dennoch haben rund 20 % der genesenen COVID-Patient:innen drei Monate nach der Infektion Schmerzen, die sie vorher noch nicht hatten [1]. Eine Meta-Analyse von Kohorten-Studien zeigte, dass 44 % der Patient:innen nach der akuten COVID-19-Infektion unter anhaltenden Kopfschmerzen litten, 19 % waren von Gliederschmerzen betroffen [2]. Ein Jahr nach der Infektion klagen noch rund 10 % der Patient:innen über muskuloskelettale Schmerzen [3].

Integrative Medizin gegen Long COVID

Die integrative Medizin setzt bei der Behandlung von Symptomen einer Long COVID Erkrankung auf die Integration verschiedener Behandlungsansätze. Es geht dabei nicht um eine alternative Medizin, sondern um eine ergänzende und verbindende Medizin, mit einer rationalen Beziehung zwischen der konventionellen und komplementären Medizin unter Berücksichtigung des Erkrankungsstadiums und Aspekten der präventiven Medizin. Dabei stehen die Patient:innen als Ganzes im Vordergrund. Die nicht-medikamentöse Selbstmanagementversorgung wird betont, Patient:innen-Aktivierung sowie Selbsthilfekompetenz spielen eine wichtige Rolle.

Integrative Medizin kombiniert jegliche moderne, durch wissenschaftliche Nachweise gestützte, Behandlung mit bewährten Methoden aus der Komplementärmedizin, einschließlich Naturheilkunde, Mind-Body-Verfahren, Bewegung, Akupunktur, oder manuelle Therapien. „Neben der wissenschaftlichen Evidenz wird auch Wert auf Erfahrungswerte und Wirksamkeit gelegt, es handelt sich bei den Maßnahmen immer um ein UND, nicht ein ODER“, betont Dr. Wölkhart.  

Hyperthermie gegen Long COVID-Schmerzen

Ein Beispiel für eine integrative Behandlung aus der Physikalischen Medizin: Einer Long COVID-Patientin mit ausgeprägter Fatigue und muskuloskelettalen Schmerzen brachte eine Serie von Ganzkörper-Hyperthermie-Behandlungen deutliche Linderung. Dabei lag die Patientin sechsmal innerhalb von zwei Wochen bis zu zwei Stunden in einer Infrarot-Box, um ihre Körperkerntemperatur jeweils moderat auf 39 Grad zu erhöhen. Die Patientin berichtete: „Die Hyperthermie war das bisher beste Medikament. Der erste Tag war arg, danach hat es zu arbeiten begonnen. Ich war viel beweglicher, es war angenehm, weil alles viel weicher war.“ Die Muskelschmerzen der Patientin konnten um rund 20 % reduziert werden, die Wirksamkeit hielt für etwa zwei Monate an.

Training gegen Long COVID-Schmerzen

Bekanntermaßen kann Bewegung auch bei einer COVID-19-Erkrankung zu immunmodulatorischen und antiinflammatorischen Effekten führen. Daher ist auch körperliches Training ein Therapiebaustein, der Symptome von Long COVIDPatient: innen lindern kann. Diese schränken ihre körperliche Aktivität zumeist stark ein. Durch den Bewegungsmangel kommt es zu deutlichem Muskelabbau und Kraftverlust, der Symptome wie Erschöpfung und Schmerzen weiter verstärkt. „Die Rückkehr zu körperlicher Aktivität steht im Vordergrund. Langfristig anzustreben ist, dass Betroffene wieder mindestens 150 Minuten in der Woche aktiv sein und zwei Kräftigungseinheiten durchführen können, wie es die WHO allgemein empfiehlt“, sagt Dr. Wölkhart.

In der Long COVID-Rehabilitation ist eine biopsychosozial ausgerichtete Bewegungstherapie mit den Kernbestandteilen des Ausdauer- und Krafttrainings angezeigt. Weil beim sogenannten Pacing das Finden der optimalen und individuellen Balance zwischen Schonung und Aktivierung (körperlich, kognitiv, emotional) sowie das kontinuierliche Steigern der Aktivität nicht einfach ist, kann es sinnvoll sein, die täglichen Aktivitäten an die 4P-Regel anzupassen: Prioritäten setzen, Planen, Pausen machen, Positiv bleiben. „Nach dem Training kann eine kurzfristige Erschöpfung auftreten. Das darf allerdings nicht mit der sogenannten Post-Exertionale Malaise (PEM) verwechselt werden, die für eine krankhafte Symptomverschlechterung nach oft schon geringer Aktivität steht“, erläutert Dr. Wölkhart. Liegt bei Patient:innen PEM vor, so ist mit körperlicher Aktivität individuell und mit Aktivitätssteigerung zurückhaltend umzugehen.

Künftig mehr integrative Therapien nötig

Die Behandlung von Long COVID-Schmerzen ist interdisziplinär und multimodal, muss sich aber immer an der Art der Schmerzen orientieren, und wird am besten durch Integration verschiedener Behandlungsansätze angegangen. „Bei der Planung der Therapie müssen auch die Risikofaktoren für eine Schmerzchronifizierung berücksichtigt werden“, sagt Dr. Wölkhart.

Long COVID wird voraussichtlich die Zahl der Patient:innen mit chronischen Schmerzen ansteigen lassen. Zu erwarten sei auch, dass Long COVID-Patient:innen mit dem Wunsch nach bestimmten integrativen Therapiemethoden zu den Ärzt:innen kommen bzw. diese fragen, wie sie zu diesen Methoden stehen, meint Dr. Wölkhart: „Für Laien ist die Unterscheidung zwischen Heilkunst und Scharlatanerie oft schwierig. Es ist daher insbesondere für Schmerztherapeut:innen essenziell, sich mit integrativen Therapien auseinanderzusetzen.“

Bericht: Dr. Stefan Wolfinger

Literatur

1. Soareset FHC, et al. Prevalence and characteristics of new-onset pain in COVID-19 survivors, a controlled study. Eur J Pain. 2021;25(6):1342–54.
2. Lopez-Leon S, et al. More Than 50 Long-Term Effects of COVID-19: A Systematic Review and Meta-Analysis. Res Sq. 2021.
3. Fernández-de-las-Peñas C, et al. Prevalence of post-COVID-19 symptoms in hospitalized and non-hospitalizedCOVID-19 survivors: A systematic review and meta-analysis,”. Eur J Intern Med. 2021;92:55–70.


22. Österreichische Schmerzwochen

Seit über 20 Jahren informiert die ÖSG mit einer jährlichen Kampagne über die neuesten Entwicklungen in der Schmerzmedizin, klärt über das verfügbare Behandlungsspektrum auf und sensibilisiert politische Entscheidungsträger:innen für Notwendigkeiten und Defizite in der Schmerzversorgung.

Der Schwerpunkt der aktuellen Informationskampagne liegt auf der Behandlung von Long COVID-Symptomen.


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