Mikrovaskuläre Dekompression: „Das Problem an der Wurzel packen“

Die mikrovaskuläre Dekompression (MVD) der Eintrittszone des Nervus Trigeminus am Hirnstamm ist die einzige chirurgische Therapieform, die an der Ursache der klassischen Trigeminusneuralgie (TN) ansetzt. Ziel dabei ist es, die Eintrittszone der Trigeminuswurzel am Hirnstamm von der hinteren Schädelgrube aus von komprimierenden Blutgefäßen zu isolieren.

von OA DDr. Johannes Herta, Universitätsklinik für Neurochirurgie, MedUni Wien/AKH Wien,

Univ.-Prof. Dr. Karl Rössler, Universitätsklinik für Neurochirurgie, MedUni Wien/AKH Wien,

und Assoc. Prof. PD Dr. Christian Dorfer, Universitätsklinik für Neurochirurgie, MedUni Wien/AKH Wien

Bei der MVD handelt es sich um einen invasiven Eingriff bei einer Erkrankung, die nicht lebensbedrohlich ist und zumindest im Vorfeld auch medikamentös behandelt werden kann. Dies ist mit ein Grund, warum Patientinnen und Patienten oft sehr spät im Krankheitsverlauf zu einer neurochirurgischen Beratung zugewiesen werden. Und das, obwohl seit der Erstbeschreibung der MVD durch Dr. Peter Jannetta bereits über 50 Jahre an medizinischem Fortschritt vergangen sind und die Operation einen festen Platz in den Guidelines der Neurologischen Gesellschaften gefunden hat.

KLASSIFIKATION

Die TN ist charakterisiert durch plötzlich einschießende, sehr intensive und nur kurz anhaltende Gesichtsschmerzattacken in einem oder mehreren Versorgungsgebieten des Trigeminusnervs.1 Meistens können die Schmerzen durch harmlose Stimuli, wie z.B. Zähneputzen, Sprechen oder Essen, provoziert werden und führen so zu einer massiven psychosozialen Belastung. Eingeteilt wird die TN von der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft in die idiopathische TN (kein neurovaskulärer Konflikt (NVK) oder NVK ohne morphologische Änderungen an der Trigeminuswurzel), die klassische TN (NVK mit morphologischen Änderungen an der Trigeminuswurzel) und die sekundäre TN (ursächliche neurologische Erkrankung, z.B. Multiple Sklerose, Tumor etc.). Diese Einteilung ist maßgeblich für die Entscheidung über eine mögliche chirurgische Behandlungsmodalität. Weiters erfolgt eine phänotypische Einteilung in eine rein paroxysmale TN (Typ 1) und eine TN mit einer einhergehenden Dauerschmerzkomponente (Typ 2). Diese Einteilung zeigt Einfluss auf das Behandlungsergebnis nach MVD.

OPERATIVE TECHNIK

Die MVD folgt dem Prinzip, nicht destruktiv, sondern restaurativ zu sein. Die Idee hinter dem Eingriff ist es, ein pulsierendes Gefäß, das eine mechanische Kraft auf die Trigeminuswurzel auslöst, vom Nerv zu isolieren. Im Idealfall wachen Patientinnen und Patienten nach der Operation funktionell intakt und vom Schmerz befreit auf. Pathophysiologisch wird angenommen, dass die mechanische Reizung des Gefäßes auf die besonders vulnerable Übergangszone zwischen peripheren und zentralen Myelinscheiden, der Redlich-Obersteiner Zone, zu einer Schädigung der Myelinscheiden führt. Dadurch können sensorische Reize auf Schmerzfasern im Sinne einer ephaptischen Übertragung übergeleitet werden und somit eine sensorisch getriggerte Schmerzattacke auslösen.

Die Operation wird unter Allgemeinnarkose durchgeführt. Der Kopf wird in eine chirurgische Kopfhalterung („Kopfzange“) eingespannt, die Patientinnen und Patienten je nach Habitus, Komorbidität oder Präferenz des behandelnden Neurochirurgen in Bauchlage, Seitenlage oder halbsitzend am OP-Tisch positioniert. Die Haare hinter dem Ohr der betroffenen Seite werden ausrasiert. Es folgt ein retroaurikulärer ca. 6 cm langer Hautschnitt und die Darstellung des Schädelknochens. Dieser wird in der Größe einer 2-Euro-Münze und begrenzt von den Rändern des Sinus transversus und sigmoideus eröffnet. Nach Eröffnung der Dura mater kommt das Kleinhirn zum Vorschein. Unter dem Operationsmikroskop wird nun die zerebellopontine Zisterne aufgesucht und eröffnet. Dies stellt einen entscheidenden Schritt der Operation dar, da durch das Ablassen des Hirnwassers viel Platz für die weitere atraumatische Präparation gewonnen wird. Der Operateur löst arachnoidale Briden und identifiziert die Trigeminuswurzel entlang ihres Verlaufs. Vor allem im Bereich des Nerveneintritts in den Hirnstamm (Dorsal Root Entry Zone – DREZ) findet man in der Regel ein oder mehrere komprimierende Gefäße vor. Diese werden dann von der DREZ ab präpariert, mit Teflon™ (in Form eines watteähnlichen Filzes) unterfüttert und damit der Druck auf die Redlich-Obersteiner-Zone beseitigt. Um eine spätere Verlagerung dieses Nervenpolsters zu verhindern, wird Fibrinkleber zur Fixation verwendet. Damit ist der intrakranielle Teil der Operation beendet. Die harte Hirnhaut wird vernäht und die Knochenlücke durch den kleinen, vorher entnommenen, Knochendeckel oder durch Knochenzement lückenlos verschlossen. Nach Verschluss von Nackenmuskulatur, subkutanem Gewebe und der Haut ist die Operation beendet.

INDIKATION UND OUTCOME

Patientinnen und Patienten mit klassischer, aber auch idiopathischer TN profitieren von einer MVD in über 90 Prozent der Fälle. Unter den chirurgischen Operationen stellt die MVD die First-Line-Therapie dar, wenn Gesichtsschmerzen nicht ausreichend durch Medikamente kontrolliert oder diese schlecht vertragen wurden. In einer Studie mit 156 Patientinnen und Patienten konnte gezeigt werden, dass die MVD jene Behandlung der TN darstellt, die mit der höchsten Rate an Lebensqualitätsverbesserung einhergeht. 88 Prozent der Befragten zogen die chirurgische Therapie der medikamentösen vor.2

Wichtigstes diagnostisches Instrument ist die Magnetresonanztomographie (MRT). Diese sollte neben den Standard-MRT-Sequenzen immer auch die folgend gewichteten Sequenzen enthalten: 1. hochauflösende 3D T2 (FIESTA, CISS, DRIVE), 2. 3D TOF-MRA, 3. 3D T1 Gadolinium.

Diese Sequenzen helfen nicht nur dabei, eine sekundäre TN auszuschließen, sondern liefern auch wichtige Informationen über den späteren operativen Situs und einen möglichen NVK. Studien zeigten, dass die Sensitivität der MRT allerdings nicht ausreicht, um in jedem Fall den Gefäß- Nervenkonflikt darzustellen, sodass eine negative MRT kein Ausschlussgrund für die Durchführung einer MVD ist.

Ein NVK im Bereich der Trigeminuswurzel stellt nämlich grundsätzlich einen häufigen gen Befund dar, egal ob die Patientinnen und Patienten TN-Symptome zeigen oder nicht. Dies ändert sich bei Gefäßnervenkontakten, die direkt an der Eintrittsstelle der Trigeminuswurzel in den Hirnstamm liegen, zu einer Nervenverdrängung führen oder eine Nervenatrophie verursachen. In diesen Fällen zeigt sich ein starker Zusammenhang des MRT-Befundes mit der symptomatischen Seite des TN-Patienten.3 Das Bestehen eines NVK in der MRT verbessert die Prognose der Patientinnen und Patienten nach MVD, stellt aber – wie bereits erwähnt – keine Conditio sine qua non für die Operation dar. Erstens, weil die Spezifität der MRT-Untersuchung nur bei 50 Prozent liegt4, und zweitens, weil auch Patientinnen und Patienten, bei denen intraoperativ kein NVK vorliegt, von einer Operation profitieren können.

Die Rate, um nach MVD komplett schmerzfrei zu sein, wurde in einer aktuellen Meta-Analyse mit 76 Prozent angegeben. Positive Prädiktoren der Schmerzfreiheit waren hier ein arterieller neurovaskulärer Kontakt, eine Beteiligung der Arteria cerebelli superior sowie ein rein paroxysmaler Schmerzcharakter. Weiters konnte gezeigt werden, dass die Erfolgsrate der Operation mit zunehmender Erkrankungsdauer abnimmt.5 Hier ist anzumerken, dass nicht nur die Schmerzfreiheit, sondern auch eine Symptomlinderung für viele Patientinnen und Patienten einen Erfolg darstellen.

Eine Meta-Analyse konnte zeigen, dass es initial zu einer Symptomverbesserung bei 87 Prozent der Patientinnen und Patienten kam und dieser Effekt in 84 Prozent aller Fälle auch nach fünf Jahren noch anhielt.6

Eine weitere Gruppe von Patientinnen und Patienten, die sehr häufig an TN leiden und oft generell nicht für eine MVD in Erwägung gezogen werden, sind jene mit Multipler Sklerose. In den meisten Fällen besteht hier eine sekundäre TN. Trotzdem sollte eine genaue MRT-Abklärung erfolgen, da in Einzelfällen auch eine klassische TN vorliegen kann.7

KOMPLIKATIONEN UND KOMPLIKATIONSVERMEIDUNG

Die MVD ist eine sehr sichere Operation. Das Mortalitätsrisiko ist mit 0 bis 0,4 Prozent extrem niedrig und kommt in modernen Serien praktisch nicht mehr vor. Dasselbe gilt für schwere Komplikationen (3 Prozent) wie der einseitigen Fazialisparese, dem einseitigen Hörverlust oder Infektionen. Häufiger kommt es zu milden Komplikationen wie Vertigo, Dysästhesie und Hypästhesie.5

Um Komplikationen zu vermeiden und die Operationsergebnisse zu verbessern, versuchen wir, unsere Operationstechniken ständig anzupassen. Folgende Punkte spielen hier eine tragende Rolle:

  • Optimale Patientenpositionierung, um den venösen Abfluss zu verbessern.
  • Intraoperatives Neuromonitoring mit akustisch und motorisch evozierten Potenzialen zur Überwachung der Fazialis- und Hörfunktion, um das Risiko des einseitigen Hörverlusts bzw. einer Fazialisparese zu vermeiden.
  • Die Verwendung von modernen Mikroskopen mit integrierten Endoskopen. Dies ermöglicht in manchen Fällen erst eine erfolgreiche Identifikation des NVK durch die gewonnene Vergrößerung, einer bessere Ausleuchtung und durch den verbesserten „Rundumblick“ (siehe Abbildung 1).
  • Die Verwendung von hochauflösenden 4K-3D-Orbitalkamerasystemen verbessert die Visualisierung des NVK und ermöglicht dem Operationsteam eine entspannte Haltung während des Eingriffs (siehe Abbildung 2). Als erste österreichische Klinik steht uns an der MedUni Wien das ORBEYE-System von Olympus für diesen Eingriff zur Verfügung.
  • Die Verwendung des geeigneten Materials zur Gefäßisolierung. Hier empfehlen wir die Verwendung von Polytetrafluorethylen (Teflon™) in Kombination mit Fibrinkleber. Von der Verwendung von Nackenmuskulatur, Fett oder blutstillenden Materialien wird aufgrund des Risikos der Resorption abgeraten. Andere Materialien wie Dacron® oder Ivalon® zeigten in Studien ähnliche Ergebnisse wie Teflon™.
  • Knochendeckelersatz durch Knochenzement anstatt von Eigenknochen hilft, um durale Adhäsionen mit der Nackenmuskulatur und somit postoperative lokale Schmerzen an der Zugangsstelle zu vermeiden.
Abbildung 1

Abbildung 1: Axiales MRT (A) mit CISS- (Constructive Interference in Steady State) Sequenzen auf der Höhe der Eintrittsstelle der rechten Trigeminuswurzel in den Hirnstamm. Zwei die Nerven verlagernde Gefäße sind hier sichtbar (roter Kreis). Bei der mikrochirurgischen Operation (B) zeigt sich die Trigeminuswurzel durch eine darunterliegende vaskuläre Schlinge der Arteria cerebelli superior stark verlagert (*) und aufgespannt. Mittels des im Mikroskop integrierten Endoskops (C) können ohne Verzögerung der operative Situs präzise exploriert und die Arterienschlinge vom Nerv gelöst werden(**). Anschließend erfolgte das Einlegen von Teflon™ zwischen Arterie und Nerv.

Abbildung 2

Abbildung 2: Während einer MVD wird ein hochauflösendes 4K-3D-Orbitalkamerasystem („Exoskop“ ORBEYE, Olympus) verwendet. Die Kamera kann je nach Belieben über dem Operationsgebiet positioniert werden (*) und ermöglicht eine komfortable Arbeitshaltung. Das Operationsteam nutzt ähnlich wie bei der Endoskopie einen Bildschirm zur Visualisierung des operativen Situs. Dieser hochauflösende 3D-Bildschirm (**) ermöglicht mit Hilfe von 3D-Brillen nicht nur eine 26-fache Vergrößerung, sondern auch eine genaue Abschätzung der Instrumententiefe.

Referenzen:
1 Bendtsen et al. European Academy of Neurology guideline on trigeminal neuralgia. European Journal of Neurology 2019; 26(6):831-849
2 Spatz et al. Decision analysis of medical and surgical treatments for trigeminal neuralgia: how patient evaluations of benefits and risks affect the utility of treatment decisions. Pain 2007; 131(3)
3 Antonini et al. Magnetic resonance imaging contribution for diagnosing symptomatic neurovascular contact in classical trigeminal neuralgia: a blinded case-control study and meta-analysis. Pain 2014; 155(8):1464-1471
4 Brînzeu et al. Reliability of MRI for predicting characteristics of neurovascular conflicts in trigeminal neuralgia: implications for surgical decision making. Journal of Neurosurgery 2018; 1-11
5 Holste et al. Pain Outcomes Following Microvascular Decompression for Drug-Resistant Trigeminal Neuralgia: A Systematic Review and Meta-Analysis. Neurosurgery 2020; 86(2):182-190
6 Gubian et al. Meta-Analysis on Safety and Efficacy of Microsurgical and Radiosurgical Treatment of Trigeminal Neuralgia. World Neurosurgery 2017; 103:757-767
7 Sandell et al. The effect of microvascular decompression in patients with multiple sclerosis and trigeminal neuralgia. Neurosurgery 2010; 67(3):749-744

Erschienen in den Schmerznachrichten 1/2021