Schmerzen bei den Jüngsten: Neue Empfehlungen bieten Orientierung für die Schmerztherapie von Kindern und Jugendlichen

21. Österreichische Schmerzwochen: Die Schmerzmedizin für Kinder und Jugendliche ist auch in Österreich eine Herausforderung. Neue Empfehlungen liefern nun eine wichtige Orientierungshilfe für die bestmögliche Behandlung von akuten und chronischen Schmerzen junger Patient*innen.

Trotz großer Fortschritte in der Behandlung von akuten und chronischen Schmerzen steht man der schmerzmedizinischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen aufgrund von pharmakodynamischen und pharmakokinetischen Besonderheiten in Österreich nach wie vor zurückhaltend gegenüber. Nur wenige Empfehlungen helfen Ärzt*innen dabei, auf Kinder und Jugendliche zugeschnittene Therapien zu finden.

Die Sektion Schmerz der Österreichischen Gesellschaft für Intensivmedizin, Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) hat deshalb einen speziellen Behandlungsalgorithmus für die Schmerzbehandlung von Kindern und Jugendlichen erarbeitet und dafür OÄ Dr. Waltraud Stromer, Präsidentin der ÖSG, Prim. Univ.- Prof. Rudolf Likar, ÖSG-Generalsekretär, sowie den Kinderarzt Prim. Ass.-Prof. DDr. Peter Voitl beratend einbezogen.

Abb. 1: Behandlungsalgorithmus Schmerztherapie bei Kindern und Jugendlichen

„Ich bin sehr froh, über diese Initiative der ÖGARI. Der Behandlungsalgorithmus liefert sehr übersichtliche Empfehlungen, welche medikamentösen und nicht-medikamentösen Mittel zum Einsatz kommen können, wenn Kinder und Jugendliche unter verschieden starken akuten und chronischen Schmerzen leiden. Diese Orientierungshilfe trägt dazu bei, risikoreiche und falsche Therapie zu vermeiden“, sagt ÖSG-Präsidentin Stromer anlässlich der 21. Österreichischen Schmerzwochen.

Besonderheiten jedes Kindesalters müssen berücksichtigt werden

Kinder und Jugendliche sind eine sehr bunte Patientengruppe mit ganz unterschiedlichen Entwicklungsstufen und Bedürfnissen. „Es funktioniert nicht, einfach die Schmerztherapien für Erwachsene an die jungen Patient*innen anzupassen, um wirkungsvoll gegen Kinderschmerzen vorzugehen“, erklärt Dr. Stromer. Gerade im Kinderbereich ist der Austausch von Erfahrungen und neuen Erkenntnissen sehr wichtig. Für die medikamentöse Schmerzbehandlung von Kindern und Jugendlichen werden häufig Medikamente off-label eingesetzt, da es nur wenige Mittel gibt, die speziell für die diese Patientengruppen zugelassen sind. „Die Erfahrungen zeigt uns, dass eine niedrige Dosierung für die Behandlung von Kinderschmerzen immer noch zu hoch sein kann“, warnt Dr. Stromer. Die Dosierung der Schmerzmedikamente muss exakt an Alter und Körpergewicht angepasst, Tageshöchstwerte und Dosierungsintervalle müssen adaptiert werden.

Schmerzmessung bei Kindern

Der Behandlungsalgorithmus startet mit einer Einschätzung der Schmerzintensität. Welche Art der Schmerzmessung verwendet wird, hängt von Alter und Entwicklungstand der jungen Patient*innen ab. „Bei Säuglingen und Kleinkindern erfolgt eine Fremdbeurteilung auf Basis von nonverbalen Schmerzzeichen wie Weinen, Körperhaltung und Gesichtsausdruck. Kinder ab vier Jahren können mitteilen, wie sehr sie unter den Schmerzen leiden, indem sie auf eine Gesichterskala zeigen“, erklärt Dr. Stromer. Ab dem Alter von 8 Jahren kann zur Beurteilung der subjektiv empfundenen Schmerzen die numerische Rating-Skala (NRS) verwendet werden.

So viel wie nötig, so kurz wie möglich

Die medikamentöse Therapie akuter und chronischer Schmerzen von Kindern und Jugendlichen richtet sich nach den zugrundeliegenden Mechanismen: Handelt es sich um nozizeptive Schmerzen, die durch Gewebeverletzung bedingt sind? Oder sind es neuropathische Schmerzen, die durch eine Schädigung oder Dysfunktion des peripheren und/oder zentralen Nervensystems entstehen? Ist es ein dysfunktionaler noziplastischer Schmerz, der keiner spezifischen strukturellen Läsion oder Anomalie zuzuordnen ist? Oder handelt es sich um „Mixed Pain“, bei dem sowohl nozizeptive als auch neuropathische und/oder dysfunktionale Komponenten das Schmerzgeschehen beeinflussen?

Zudem orientiert sich die Behandlung an der Schmerzstärke, die im Behandlungsalgorithmus in drei Stufen unterteilt wird:

  • Stufe I in der Behandlung nozizeptiver Schmerzen bedeutet, dass die jungen Patient*innen ihre Schmerzen mit 1 bis 3 bewerten. Für akute Schmerzen der Stufe I empfehlen die Expert*innen eine Behandlung mit NSAR (nichtsteroidale Antirheumatika), beispielsweise Ibuprofen.  „Für diese Substanzgruppe gilt, dass immer die geringste effektive Dosis für die kürzest mögliche Zeit gegeben werden soll“, betont Univ. Prof. Dr. Rudolf Likar. Ist der Schmerz viszeral, geht er also von den inneren Organen aus, so empfehlen die Expert*innen Metamizol. Weiters kann auch Paracetamol zur Schmerzlinderung gegeben werden. Handelt es sich um neuropathische Schmerzen, können auch Antidepressiva, Antikonvulsiva und lokale Therapieformen zur Anwendung kommen. Bei chronischen Schmerzen der Stufe I werden die gleichen Substanzen wie beim akuten Schmerz empfohlen. „Zu beachten ist, dass Kombinationen unterschiedlicher Substanzgruppen die schmerzlindernde Wirkung verstärken“, sagt Prof. Likar.
  • In der Schmerzbehandlung in Stufe II (Schmerzskala von 4 bis 6) kommen bei akuten Schmerzen Tramadol (ein synthetisches Opioid) und Nubain (ein halbsynthetisches Opioid ) zu den bereits in Stufe I verwendeten Medikamenten hinzu. Sind die Schmerzen chronisch, ergänzt Tramadol das schmerzlindernde Substanzspektrum.
  • In Stufe III (7 bis 8 auf der Schmerzskala) wird die auf Stufe I verwendete Medikamentenpalette mit starken Opioiden erweitert. Beim akuten Schmerz werden Morphin, Hydromorphon und Piritramid verabreicht, bei chronischen Schmerzen sind es Morphin, Hydromorphon und Buprenorphin als Opioid-Pflaster. „Wenn Opioide verwendet werden, ist es wichtig, deren Nebenwirkungen wie Erbrechen und Verstopfung mit begleitenden Medikamenten zu vermeiden“, rät Prof. Likar.

Nicht-medikamentöse Therapie miteinbeziehen

Kombiniert werden kann die medikamentöse Schmerztherapie aller Stufen für Kinder und Jugendliche mit einem weiten Spektrum von nicht-medikamentösen Maßnahmen wie physikalischer Therapie, Akupunktur, Neuraltherapie, TENS, Ergotherapie, Entspannungstechniken, Musiktherapie sowie psychologischer und psychosomatischer Betreuung. „Bei chronischen Schmerzen sollte auch für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen ein multimodales Konzept Standard sein, also ein interdisziplinäre Schmerztherapie, die sowohl medikamentöse Therapien als auch nicht-medikamentöse Maßnahmen enthält“, fordert Dr. Stromer. „Damit der Behandlungsalgorithmus auch in die Praxis umgesetzt werden kann, braucht es eine flächendeckende fachspezifische Versorgung durch Kinderärzt*innen wie auch Schmerzspezialist*innen mit entsprechender Expertise und Ausbildung in ambulanten und stationären Kinderschmerzzentren“, resümiert Prof. Likar.

Bericht: Dr. Stefan Wolfinger

Quellen: Presseaussendung der ÖSG anlässlich der 21. Österreichischen Schmerzwochen, Jänner 2022; Schmerztherapie bei Kindern und Jugendlichen – Behandlungsalgorithmus. Eine Empfehlung der Sektion Schmerz der ÖGARI. Beratung: Dr.in Waltraud Stromer, Univ. Prof. Rudolf Likar, Prim. Ass.-Prof. DDr. Peter Voitl; als Download unter: www.pains.at/sonderpublikationen/schmerztherapie-bei-kindern-und-jugendlichen-behandlungsalgorithmus

Erscheint in den Schmerz Nachrichten 1/2022


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