21. Österreichische Schmerzwochen: Die diesjährige Kampagne der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG) im Rahmen der 21. Österreichischen Schmerzwochen setzt auf Bewegung als Schmerz-Prävention und Schmerztherapie. Im Rahmen eines virtuellen Pressegesprächs informierten ÖSG-Expert*innen über die kommunikativen Schwerpunkte 2022.

Fast zwei Millionen Menschen in Österreich leiden unter chronischen Schmerzen [1]. Die häufigsten Schmerzerkrankungen sind chronische Rücken- und Kopfschmerzen, Schmerzen der großen Gelenke und Nackenschmerzen. Auch während der Pandemie benötigen chronische Schmerzpatient*innen eine kontinuierliche Versorgung. So berichten beispielsweise ältere Personen, eine der Risikogruppen in der aktuellen Pandemie, über mehr Schmerzepisoden. Aber auch psychologische Faktoren wie Angstzustände und Depressionen erhöhen das Risiko für eine Schmerzchronifizierung. Ausgangsbeschränkungen können in manchen Fällen psychologische Faktoren und deren negative Folgeerscheinungen verstärken. Zudem kann Homeoffice mit seinen Stressfaktoren Schmerzen auslösen bzw. verstärken. „Schmerz kennt keinen Lockdown“, bringt es die Präsidentin der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG), OÄ Dr. Waltraud Stromer, Landesklinikum Horn, in ihrem Eröffnungsstatement auf den Punkt. Daher müsse „alles unternommen werden, um die Pandemie einzudämmen, Personal in Gesundheitseinrichtungen zu schützen und medizinische Kapazitäten freizuhalten“.
Die Verbesserung und Optimierung der schmerzmedizinischen Versorgung wird daher ein ebenso zentrales Thema der diesjährigen Österreichischen Schmerzwochen sein wie der Ausbau der schmerzmedizinischen Ausbildung, die Förderung der Schmerzforschung sowie die Förderung der Bewegung als wesentlichen Schlüssel zu einer wirksamen Schmerzprävention ebenso wie zur Unterstützung der Schmerzbehandlung. Als Grundsatz gilt: Wer sich viel bewegt, kann Schmerzen gut vorbeugen. Wer aber schon an Schmerzen leidet, kann diese mit Bewegung lindern.
Weil sich aber laut Gesundheitsministerium mehr als die Hälfte der österreichischen Erwachsenen und etwa zwei Drittel der Menschen unter 18 Jahren nicht ausreichend bewegen [2], startet die ÖSG gemeinsam mit der Merkur Versicherung die Kampagne „Beweg Dich©/Move4you©“, in deren Rahmen mit Plakaten und Foldern in Schmerzambulanzen, Schmerzzentren und Ordinationen über die schmerzreduzierende Wirkung regelmäßiger Bewegung wissenschaftlich fundiert aufgeklärt wird. Man wolle auch angesichts der momentanen Omikron-Welle zeigen, wie sich trotz Home-Office und Distance Learning mehr körperliche Aktivität ohne großen Aufwand in den Alltag integrieren lässt.
ÖSG findet Gehör bei den politischen Verantwortlichen
ÖSG-Präsidentin Dr. Stromer, zeigt sich erfreut, dass seitens der politisch Verantwortlichen – im Gesundheitsministerium, in den Ländern, aber auch bei der Gesundheit Österreich GmbH – das Thema Schmerz in Österreich durchaus wahr- und ernst genommen werde. „Als Expert*innen für Schmerzmedizin werden wir von ihnen gehört und sowohl in die Meinungsbildung als auch in die Strukturplanung miteinbezogen“, ist Dr. Stromer mit der Entwicklung zufrieden. Das sei nämlich keineswegs immer so gewesen. „Daher ist es ein wesentlicher Erfolg und das Ergebnis der Beharrlichkeit der ÖSG, dass in Österreich mit dem Qualitätsstandard Unspezifischer Rückenschmerz [3] und der Leitlinie Kreuzschmerz [4] in den vergangenen Jahren Meilensteine in der Standardisierung der Schmerzversorgung gesetzt wurden.“ Die ÖSG werde sich auch weiter dafür einsetzen, verspricht deren Präsidentin, dass „diese hohen Qualitätsstandards auch tatsächlich bei den Patient*innen ankommen können und auf allen Ebenen der Strukturplanung berücksichtigt werden“.
Ziel der ÖSG sei es, dass gut informierte, mündige Schmerzpatient*innen auf schmerzmedizinisch gut ausgebildete Ärzt*innen treffen. Das ist laut Dr. Stromer die „beste Voraussetzung dafür, dass die verfügbaren Behandlungsmethoden bestmöglich eingesetzt werden“. Daneben bedarf es einer klar definierten, einheitlichen und leitlinienbezogenen Vorgangsweise bei Diagnostik und Therapie.
Als optimales Modell hat sich die abgestufte Schmerzversorgung mit drei Versorgungsebenen erwiesen: Basisversorgung, spezialisierte Versorgung (z.B. intramurale Schmerzambulanzen) und hochspezialisierte Versorgung (Einrichtungen, die u.a. sehr intensive multimodale Therapieprogramme anbieten). Jeder Ebene werden leitliniengerechte Kompetenzen, Rechte und Pflichten zugeordnet, mit dem Ziel, den Patient*innen eine zeitgerechte optimale Diagnostik und Therapie zu ermöglichen.
Auf jeder Versorgungsebene sieht Dr. Stromer aber noch Verbesserungspotenzial. Der Sinn der Basisversorgung ist neben der Diagnosestellung und Einleitung der Therapie ein Screening auf schwerwiegende Ursachen des Schmerzes. Wenn innerhalb von einigen Wochen keine wesentliche Besserung der Schmerzen erreicht werden kann, sollen Patient*innen auf die Etage spezialisierte Versorgung verwiesen werden. Bei fehlender Besserung sollen Patient*innen schleunigst in die multimodalen Therapieprogramme der dritten Etage eingegliedert werden. „Die abgestufte Schmerzversorgung funktioniert leider in der Praxis nicht zufriedenstellend“, attestiert Dr. Stromer. Eine gute Vernetzung sei hier enorm wichtig, da eine Verzögerung zwischen den Etagen das Risiko für den chronischen Schmerz wesentlich erhöht. Die Kapazitäten der spezialisierten und hochspezialisierten Einrichtungen für die Behandlung von chronischen Schmerzpatient*innen sind leider in Österreich sehr begrenzt, was zu längeren Wartezeiten und Verzögerungen in der Versorgung führt. „Obwohl das Niveau unseres Gesundheitssystem sehr hoch ist, gibt es im Bereich der Schmerzbehandlung noch viel zu wenig Strukturen, die sehr intensive und erfolgsversprechende Therapieprogramme anbieten“, resümiert die ÖSG-Präsidentin.
Mögliche Verbesserungen in der Versorgung wären laut Dr. Stromer unter anderem die Etablierung zusätzlicher ambulanter und stationärer Schmerzzentren, mehr strukturiert ausgebildete Schmerztherapeut*innen, die Ausweitung von multimodalen Therapieansätzen sowie eine bessere Vernetzung von niedergelassenen Schmerztherapeut*innen.
“Translating Pain Research to Practice”

Die International Association for the Study of Pain (IASP) widmet das heurige Jahr dem Thema Translating Pain Research to Practice. „Wir schließen und als Österreichische Schmerzgesellschaft dem Thema an, greifen es auf und wollen zeigen, was wir in den letzten Jahren hier alles an neuen Entwicklungen und behandlungsansetzen geschafft haben“, sagt Ao. Univ.-Prof. Dr. Wilhelm Eisner von der MedUni Innsbruck, President elect der ÖSG. Beispielhaft nennt Prof. Eisner die Entwicklung einer chirurgischen Methode in Österreich auf Basis von Grundlagenforschung in der Bildgebung, wobei statt wie international üblich einer, gleich zwei bis zu 1,3 Millimeter dünne Platinelektroden punktgenau in das Gehirn eingebracht werden, um Schmerzen zu behandeln, die medikamentös oder durch physikalische Medizin nicht therapierbar sind. „Wir in Österreich haben das geschafft und können Patient*innen damit schmerzfrei machen oder ihre Schmerzen massiv verringern.“ Diese chirurgische Methode sei so etwas wie der „Endpunkt der Schmerztherapie“, davor gäbe es eine Vielzahl anderer wirkungsvoller invasive Methoden, etwa die Verödung schmerzleitender Nerven an der Wirbelsäule mittels Kälte oder Hitze.
Prof. Eisner weist auch auf die Bedeutung medizinischer Leitlinien „als Behandlungskorridor“ für die tägliche Praxis hin: „Leitlinien können uns Ärzt*innen auf den aktuellen Forschungsstand bringen. Sehr wichtig ist, unnötige, sinnlose oder gar schädliche Maßnahmen zu vermeiden.“
Schmerzausbildung erweitern

Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar, MSc, Klinikum Klagenfurt am Wörthersee, Past President und aktuell Generalsekretär der ÖSG, berichtet über die Notwendigkeit, die Schmerzaus- und -fortbildung in Österreich „zu intensivieren und Schritt für Schritt zu erweitern“. Man arbeite hier eng mit der Österreichischen Ärztekammer zusammen, um neben dem Schmerzdiplom auch eine vertiefende Fortbildung für Ärzt*innen zu etablieren. Aber auch die ÖSG selbst weitet ihr internes Fortbildungsprogramm für ihre Mitglieder kontinuierlich aus, unter anderem im Rahmen der digitalen Fortbildungsreihe Pain Updates.
Im weiteren Verlauf seines Statements verweist Prof. Likar auf die Bedeutung der multimodalen Schmerztherapie bei der Behandlung chronischer Schmerzen. „Die multimodale Schmerztherapie ist die modernste wissenschaftlich fundierte Therapieform zur Behandlung chronischer Schmerzzustände“, erläutert Prof. Likar. Dazu brauche es „niederschwellige und wohnortnahe Strukturen: Schulungsangebote für Patient*innen, medizinische Trainingsangebote, Physiotherapie, Psychologie, Diagnostik, Schmerzbewältigungstrainings und noch viel mehr. Der personelle und organisatorische Aufwand dafür ist hoch, der Therapieerfolg dadurch aber ebenso eindrucksvoll.“ Prim. Likar plädiert in diesem Zusammenhang für eine bessere Vernetzung der Österreichischen Sozialversicherungsträger, um das Angebot an Einrichtungen mit einer multimodalen Versorgung flächendeckend etablieren zu können: „Ich hoffe, dass hier zukünftig einen gemeinsamen Weg gibt“. Als funktionierendes Beispiel nennt Prof. Likar die Kooperation zwischen Österreichischer Gesundheitskasse und PVA in Kärnten.
Prof. Likar verweist auch auf die neue, die insgesamt 11. Fassung der ICD-Klassifikation (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems), die seit Kurzem gültig ist und erstmals Schmerz als eigenständige Erkrankung definiert. Das sei nicht nur ein großer Erfolg „für uns Schmerzmediziner*innen, sondern auch im Sinne unserer Patient*innen als eine weitreichende Anerkennung ihres Syndroms.“
Bewegung als nebenwirkungsfreie Medikation gegen Schmerzen

„Kaum ein anderes Gesundheitsproblem belastet die Betroffenen mehr als der Schmerz“, eröffnet Prim. Mag. Dr. Gregor Kienbacher, MSc, Theresienhof – Klinikum für Orthopädie und orthopädische Rehabilitation, sein finales Statement. Mit einer höheren Lebenserwartung gehe auch ein höheres Risiko einher, an schmerzhaften degenerativen Veränderungen des Stütz- und Bewegungsapparates zu erkranken und dadurch mit körperlichen Einschränkungen, Arbeitsunfähigkeit und dem Verlust an Lebensqualität konfrontiert zu werden. Dies gelte es, so Prim. Kienbacher, „mit Prävention bestmöglich zu vermeiden, unter anderem mit Bewegung. Ist aber der Schmerz schon da, bleibt Bewegung als Therapie ebenso wichtig.“ Es sei somit nie zu spät, mit einem Training zu beginnen, denn „Schmerzverringerung kann in jedem Lebensalter erreicht werden. Bewegung ist ein sehr effektives Medikament gegen Schmerzen mit hoher Wirksamkeit und ganz ohne Nebenwirkungen.“
Prim. Kienbacher verweist in diesem Zusammenhang nochmals auf die bereits erwähnte Kampagne „Beweg Dich©/Move4you©“, die von der ÖSG im Rahmen der diesjährigen Schmerzwochen mitgetragen wird. Darüber hinaus fordert Prim. Kienbacher im Namen der ÖSG „die Ausarbeitung eines geeigneten Präventionsgesetzes mit primärer, sekundärer und tertiärer Prävention, Patientenbildung inklusive Anreizsysteme. Körperliche Aktivität und Bewegung müssen, wo immer möglich, gefördert werden, bewegungsfördernde Maßnahmen und Bewegungsprogramme sind flächendeckend einzusetzen!“
Als Hemmschuh sieht Prim. Kienbacher dabei die Zersplitterung der Gesundheitsförderung in Österreich: „Die Zuständigkeiten liegen bei einer Vielzahl teils konkurrierender Akteur*innen mit unterschiedlichen Schwerpunkten und verschiedenen Finanzierungs- und Entscheidungsstrukturen.“ Das ist für Prim. Kienbacher auch einen der Gründe, warum so wichtige Präventionsmaßnahmen – wie etwa die medienwirksam angekündigte tägliche Turnstunde in Österreich – bislang „kläglich gescheitert“ sind.
Bericht: Mag. Volkmar Weilguni
Referenzen:
1. Statistik Austria, 21. Jänner 2022, https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/gesundheit/gesundheitszus tand/chronische_krankheiten/index.html
2. Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, 21. Jänner 2022: https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Gesundheitsfoerderung/Bewegung.html
3. Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, 21. Jänner 2022: https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Gesundheitssystem/Gesundheitssystem-undQualitaetssicherung/Qualitaetsstandards/Qualitaetsstandard-Unspezifischer-Rueckenschmerz.html
4. Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, 21. Jänner 2022: https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Gesundheitssystem/Gesundheitssystem-undQualitaetssicherung/Qualitaetsstandards/Leitlinie-Kreuzschmerz-2018.html
Quelle: Pressegespräch anlässlich der 21. Österreichischen Schmerzwochen, 26. Jänner 2022 (Virtuell)
Inhaltlich orientieren sich die 21. Schmerzwochen am diesjährigen Motto der International Association for the Study of Pain (IASP): „Translating Pain Research to Practice”.
Erscheint in den Schmerz Nachrichten 1/2022
Unterstützt werden die 21. Österreichischen Schmerzwochen von:
