Schmerzprävention aus Sicht der Pflege

© Anna Rauchenberger

Chronische Schmerzen sind eine der Hauptursachen für körperliche Funktionseinschränkungen, Arbeitsunfähigkeit und Verlust an Lebensqualität. Ihre Behandlung erfordert einen multimodalen Ansatz. Diplomierte Gesundheits- und Krankenpfleger:innen (DGKP) sind aufgrund ihrer hochwertigen Ausbildung ideal dafür geeignet, das schmerztherapeutische Team zu verstärken. Dennoch wird in Österreich viel zu selten auf ihre Expertise zurückgegriffen. Im Interview betont Svetlana Geyrhofer, BA, DGKP, Pflegeexpertin im Schmerzmanagement und der Aromapflege, Lehrerin für Gesundheits- und Krankenpflege, das große Potenzial dieser unterschätzten Berufsgruppe.

Miniserie Prävention
In dieser Miniserie setzen sich die SCHMERZ NACHRICHTEN mit dem Thema Prävention auseinander und befragt dazu Expert:innen unterschiedlicher Fachbereiche. Die Fragen stellt Mag. Christopher Waxenegger.

Frau Geyrhofer, Sie sind Vorstandsmitglied der österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG), haben mit „pflegeminusschmerz“ Ihr eigenes Unternehmen gegründet und vergangenes Jahr ein Fachbuch mit dem Titel „Pflegetherapie im Schmerzmanagement“ veröffentlicht. Gibt es einen Grund für Ihr großes Engagement in diesem Bereich?

Geyrhofer: Es gibt dafür mehrere Gründe. Die Situation der Schmerzpatient:innen in Österreich ist mehr als optimierungsbedürftig. Die lang geforderte multimodale Schmerztherapie, wo alle Gesundheitsberufsgruppen miteinander therapeutisch für die Betroffenen tätig sind, existiert derzeit nicht. Die gesetzlichen Kernkompetenzen der professionellen Pflege werden in der Praxis zu wenig ein- und umgesetzt. DGKP können nur einen Bruchteil des Gelernten in der Praxis anwenden. Wir können es uns nicht leisten, die Expertise der Pflege so zu ignorieren, wie es momentan der Fall ist. Unser derzeitiges Gesundheitssystem produziert chronische Schmerzpatient:innen, die uns allen viel Geld kosten. Mir ist also sowohl als Steuerzahlerin wie auch aus eigenem Interesse daran gelegen, dass schnelle und multimodale Therapien angeboten werden. Schließlich möchte ich selbst ebenfalls ernst genommen und entsprechend der aktuellen Handlungsempfehlungen behandelt werden, wenn ich einmal Schmerzen habe.

Pflege ist nicht gleich Pflege. Welche Pflegeberufe gibt es in Österreich und wie unterscheidet sich deren Ausbildung?

Geyrhofer: Bis 2016 gab es zwei Berufsgruppen in der Pflege: DGKP und Pflegeassistent:innen (PA). 2016 wurde das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG) novelliert und der Beruf der Pflegefachassistent:innen (PFA) eingeführt. Die Assistenzkräfte unterstützen die DGKP in ihren Kernkompetenzen, haben jedoch keine Entscheidungsmacht über die durchzuführenden Maßnahmen. So sind PFA und PA berechtigt, die ihnen übertragenen pflegetherapeutischen Maßnahmen eigenständig durchzuführen, sie haben jedoch nicht die Kompetenz, eigenverantwortlich zu entscheiden, ob eine Maßnahme bei Patient:innen durchgeführt werden soll. Beispielsweise wird eine temperierte Ölkompresse als schmerzlindernde Maßnahme mit der betroffenen Person vereinbart. Die Durchführung dieser Ölkompresse kann an PFA und PA delegiert werden, nicht jedoch die Entscheidung darüber, ob eine Ölkompresse für die betroffene Person sinnvoll ist. Dieses Beispiel zeigt sehr gut auf, dass es keine pflegetherapeutische Maßnahme ohne die klinische Einschätzung der DGKP geben kann. Auch muss die betroffene Person über die Wirkungen und Indikationen der Maßnahme aufgeklärt werden. Erst danach kann die DGKP eine Delegation in Erwägung ziehen. Doch nicht alle pflegetherapeutischen Maßnahmen sind delegierbar, viele Pflegetherapien können nur von den DGKP selbst durchgeführt werden.

Andere Berufe wie Heimhilfen oder Personenbetreuer:innen sind keine Pflegeberufe im gesetzlichen Sinn, sondern gelten als Sozialbetreuungsberufe. Auch für sie gilt, dass Pflegetätigkeiten nur nach Delegation durch die DGKP durchgeführt werden dürfen. Das wird in Österreich leider immer vermischt. Mittlerweile glaube ich nicht mehr daran, dass es Unwissen ist, vielleicht möchte man bewusst das Bild der Pflege in der Öffentlichkeit festhalten, dass doch eh jeder Pflegetätigkeiten durchführen kann. Dem ist entschieden gegenzutreten. Je kränker ein Mensch, desto mehr hochqualifiziertes Personal benötigt er. Um Schmerzassessments durchführen zu können, reicht es nicht, einfach einen Wert mit dem Schmerzlineal zu erfragen. Das benötigt viel Wissen im Bereich klinische Diagnostik, Beratung und Edukation und welche pflegetherapeutischen Maßnahmen umgesetzt werden können.

Starke hierarchische Strukturen verhindern die Umsetzung des neu erworbenen Wissens in der Praxis.

Mediziner:innen können sich auf die Behandlung von Schmerzen spezialisieren. Gibt es in der Pflege vergleichbare Fortbildungsmöglichkeiten?

Geyrhofer: Die Weiterbildung Schmerzmanagement ist im GuKG im § 64 fest verankert. Vorgeschrieben sind mindestens 160 Stunden inklusive Praktikumsstunden. Der Abschluss erfolgt mit einer Abschlussprüfung und einem Abschlussgespräch. Meines Wissens ist die Spezialisierung bei Mediziner:innen nicht gesetzlich geregelt, es gibt also keine Mindeststunden und auch keine Abschlussprüfung. Hier können wir zu Recht behaupten, dass die Pflege durch die gesetzliche Verankerung eine anerkannte Spezialisierung absolvieren kann. Das Problem dabei ist, das neu erworbene Wissen in der Praxis umzusetzen. Zum einen verhindern starke hierarchische Strukturen, wie wir sie in Österreich im Gesundheitswesen vorfinden, eine gute Umsetzung. Zum anderen sind es oft die

eigenen Kolleg:innen aus der Pflege, die befürchten, dass mit dem neuen Wissen noch mehr Arbeitsaufwand entsteht. Das ist natürlich zu Beginn richtig, weil Neues immer zu mehr Arbeit führt. Nach der Implementierung ändert sich das jedoch, weil die Patient:innen weniger Schmerzen haben und dadurch zufriedener sind.

Welche Rolle spielen DGKP bei Schmerzpatient:innen?

Geyrhofer: In vielen Handlungsempfehlungen und Leitlinien und auch in meinem Buch kann man nachlesen, dass die DGKP das Schmerzmanagement steuert. In vielen Bereichen, wo die Pflege tätig ist, gibt es die anderen Berufsgruppen (Ärzteschaft, Physiotherapeut:innen, Psycholog:innen) nicht rund um die Uhr – sie sind für die DGKP nicht greifbar. Somit muss die DGKP entscheiden, wie sie vorgeht, wenn Patient:innen Schmerzen angeben. Das ist strukturell oft sehr schwierig, um nicht zu sagen, fast eine Zumutung und Verschwendung von Steuergeld. Ich sage das ganz bewusst so klar. Stellen Sie sich folgendes Beispiel vor: Eine Bewohnerin in einem Pflegeheim bekommt am Freitagabend eine Herpes-Zoster-Infektion. Eine DGKP erkennt das richtig, sieht die schmerzgeplagte Bewohnerin, hat aber keine Möglichkeit, den Hausarzt bzw. die Hausärztin zu verständigen. Sie kann eigentlich nur die Rettung rufen, diese bringt die Bewohnerin ins Spital, wo sie mehrere Stunden allein auf die Behandlung wartet. Das ist für ältere Menschen, die ja noch andere Erkrankungen haben, eine Qual. Im Spital passiert dann nicht viel, außer dass vielleicht ein Schmerzmittel verschrieben und die Bewohnerin wieder ins Pflegeheim transferiert wird. Dort erkennt die DGKP im Rahmen der Evaluation, dass das Schmerzmittel zu niedrig dosiert ist oder vielleicht gar nicht wirklich hilft und dann beginnt das Procedere von neuem. Verrückt, oder? Das ist das tägliche Brot unserer Kolleg:innen in der Langzeitpflege. In manchen Bundesländern sind noch nicht einmal DGKP im Nachtdienst, dann fehlt sowohl die klinische Diagnostik als auch das Einleiten der weiteren Maßnahmen. Das große Problem ist, dass sich viele alte Menschen einfach nicht mehr wehren können, deshalb können diese für uns professionell Pflegende unhaltbare Zustände weiter bestehen. Das führt natürlich unweigerlich dazu, dass DGKP den Beruf verlassen, weil es mit unserem ethischen, fachlichen und rechtlichen Verständnis nicht vereinbar ist, Menschen so im Stich zu lassen.

In vielen Handlungsempfehlungen und Leitlinien kann man nachlesen, dass die DGKP das Schmerzmanagement steuert.

Welche therapeutischen Optionen stehen der Pflege zur Verfügung, um Schmerzen zu lindern und den Betroffenen zu helfen?

Geyrhofer: Unsere pflegetherapeutischen Maßnahmen sind sehr vielfältig. Die wichtigsten sind Positionierungen, Kälte und Wärme, Einreibungen und Streichungen, Aromapflege, Wickel und Kompressen sowie Gesprächsführungen. Essenziell ist das Nebenwirkungsmanagement, das begleitend bei medikamentösen Therapien immer mitgeplant werden sollte. Obstipation ist eine häufige Nebenwirkung, hier können wir durch Beratung und Anbieten von vielseitigen Maßnahmen wie Bauchwickel oder Ernährung unterstützen, um unter Umständen lebensbedrohliche Komplikationen wie Darmverschluss zu verhindern. DGKP sind immer wieder mit Patient:innen konfrontiert, die keine zusätzlichen Medikamente gegen die Nebenwirkungen einnehmen möchten. Das kann natürlich nicht immer verhindert werden, deshalb ist Beratung durch die DGKP unverzichtbar. Den Betroffenen den Zeitpunkt zu sagen, ab wann sie schon zusätzlich Medikamente einnehmen sollen, kann viele Komplikationen vermeiden. Bei vielen Nebenwirkungen stehen auch keine medikamentösen Therapien zur Verfügung.

Trockene Mundschleimhaut oder Vaginalschleimhaut bei Frauen kann nicht mit Medikamenten therapiert werden. Hier braucht es pflegerische Expertise mit einer guten Schleimhautpflege. Das sind Tabuthemen, über die Betroffene nicht von sich aus reden, da muss man gezielt nachfragen. Eine trockene Vaginalschleimhaut ist empfänglich für Bakterien und das kann wiederum zu Harnwegsinfekten führen. Ein Teufelskreislauf, weil es dadurch meist zur Antibiotikaeinnahme kommt. Gerade bei den Gabapentinoiden aber auch Psychopharmaka kommt es zu zentralen Nebenwirkungen wie Schwindel und Müdigkeit. Auch hier können wir mit aromapflegerischen Maßnahmen viel bewirken. Ein aktivierendes Fußbad am Morgen oder eine aktivierende Streichung können unterstützend wirken. Menschen mit Schwindel können in der Früh nicht mobilisieren werden. Das erfordert eine Änderung des pflegerischen Arbeitsablaufes, weil man sich eben zuerst um die Nebenwirkungen kümmern muss. Sie sehen, diese ganzheitliche Betrachtungsweise, das Wissen um die Wirkungen, aber auch Neben- und Wechselwirkungen der Medikamente, die Planung von Prophylaxen – all das sind Kernkompetenzen der hochqualifizierten Pflegekräfte. Das ist auch die Begründung dafür, warum es eine tertiäre Ausbildung benötigt. Es braucht ein hohes Wissen, um Schmerzpatient:innen ganzheitlich behandeln zu können, das geht nicht mit Assistenzkräften oder mit Sozialbetreuungsberufen. Dafür braucht es eine Spezialausbildung.

Können Patient:innen und ihre Betreuer:innen aus Sicht der Pflege auch präventiv aktiv werden?

Geyrhofer: Wir kennen alle die guten Ratschläge wie ausreichend Bewegung, gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf, Reduktion von Stress. Das ist natürlich nicht so einfach umzusetzen und auch keine

Garantie, dass man bis ins hohe Alter schmerzfrei bleibt, aber es ist zumindest ein Anfang. Trotzdem kann es immer zu Unfällen oder Erkrankungen kommen, die Schmerzen verursachen. Wichtig wäre, wenn Patient:innen bei akuten Schmerzen rasch Hilfe suchen und schön wäre es, wenn sie dann auch eine adäquate Therapie erhalten würden. Monatelang auf einen Physiotherapietermin zu warten ist leider ein Defizit unseres Gesundheitssystems. Die professionelle Pflege gleich aufzusuchen, um Nebenwirkungen prophylaktisch zu behandeln und eine ausführliche Pflegeberatung zu erhalten, wäre sehr zu empfehlen. Leider werden in unserem Land Pflegeleistungen nicht von den ÖGK bezahlt. In anderen Ländern wie in Skandinavien ist das anders.

In den Köpfen vieler Menschen ist Pflege etwas, das am Ende aller Behandlungsmaßnahmen steht, wenn sich Menschen nicht mehr um sich selbst kümmern können. Wie ist Ihre Erfahrung?

Geyrhofer: Wirklich? Ein interessanter Aspekt. Ich würde noch einen Schritt weiter gehen. Nicht mal, wenn gar nichts mehr hilft, kommt man auf die Idee, dass es eine professionelle Pflegeperson gibt, die einen unterstützen kann. Warum nicht? Weil die DGKP in unserem Land immer noch nicht als eine therapeutische Berufsgruppe gesehen wird. Das Bild von einer putzenden und waschenden Pflegeperson ist leider zu fest verankert in der Bevölkerung. Es ist wenig bekannt, dass eine DGKP primär nicht für Körperpflege und Essen verabreichen da ist, sondern wie mit den Fallbeispielen beschrieben, für klinische Diagnostik, Ausschluss gefährlicher Geschehen, Einleiten von therapeutischen Maßnahmen und Evaluation. Weiters sind Beratung und Edukation sowie psychosoziale Begleitung wichtige Kernkompetenzen. Die Gesundheitsförderung, die in Österreich noch gar nicht ausgebaut ist, ist eine weitere Aufgabe der DGKP. Tätigkeiten, von denen man glaubt, dass die DGKP zuständig sind, sind in erster Linie Tätigkeiten der PA und PFA oder der Heimhilfen. Österreich hat europaweit einen sehr geringen Anteil an Assistenzkräften in der Pflege, deshalb sind die DGKP viel zu sehr mit Hilfstätigkeiten beschäftigt und können ihren therapeutischen Aufgaben nicht nachkommen. Das ist etwas, das dringend geändert gehört, weil es schlichtweg zu teuer ist, eine therapeutische Berufsgruppe Betten machen zu lassen und im schlimmsten Fall sogar dazu heranzuziehen, das Sekretariats- oder Reinigungspersonal zu ersetzen, wenn keines da ist. Der viel wichtigere Grund ist aber, dass wir durch diesen Missstand viele hochqualifizierte Pflegekräfte verlieren. Wir haben kein Ausbildungsproblem von DGKP, wir benötigen deutlich mehr Assistenzkräfte, damit die DGKP endlich ihren therapeutischen Part übernehmen können.

Die DGKP wird in unserem Land immer noch immer nicht als eine therapeutische Berufsgruppe gesehen.

Wenn Sie in die Zukunft blicken: Wo sehen Sie die Pflege von Schmerzpatient:innen in zehn Jahren?

Geyrhofer: Mittlerweile glaube ich nicht mehr an gravierende Änderungen. Es fehlt den verantwortlichen Personen an innovativen Ideen. Es ist sogar so schlimm, dass diejenigen mit den Ideen in diesem Land nicht gehört werden. Es wäre schon geholfen, wenn wir uns von den skandinavischen Ländern einiges abschauen würden. In zehn Jahren haben wir hoffentlich genug Assistenzpersonal wie PA und PFA in der Pflege, damit die DGKP fallbezogen arbeiten und sich auf ihre Patient:innen die pflegetherapeutischen Maßnahmen konzentrieren können. Schön wäre es, wenn es dann eine multimodale Schmerzambulanz gibt, wo die Pflege eigene Therapiestunden anbieten kann und diese Leistungen auch von der ÖGK bezahlt werden. Mein nächstes Projekt ist es, in den Rehabilitationszentren

in der Zeit von 13.00–15.00 Uhr Pflegetherapiestunden mit pflegetherapeutischen Maßnahmen einzuführen. Hier könnte man verschiedene Wickel wie Leberwickel oder Aromapflegeschulungen anbieten, welche die Patient:innen zuhause selbstständig fortführen. Die professionelle Pflege ist dann Teil des therapeutischen Teams und wird in die Beratungen miteinbezogen. Das sind jetzt meine sehr innovativen Träume, vielleicht gehen sie ja in Erfüllung.

Haben Sie abschließend einen guten Tipp, wie man mit Schmerzen von Anfang an richtig umgeht?

Geyrhofer: Rechtzeitig etwas tun, wenn es weh tun. Nicht versuchen den Schmerz auszuhalten. Multimodale Therapien anwenden, nicht nur Medikamente einnehmen. Auf sich schauen, auch wenn es schwierig ist. Ausgleich zum stressigen Alltag finden, die Natur genießen und soziale Kontakte pflegen, denn chronischer Schmerz kann sehr einsam machen.

Abb: Pflegefachassistent:innen (PFA) und Pflegeassistent:innen (PA) unterstützen die Diplomierten Gesundheits- und Krankenpfleger:innen (DGKP) in ihren Kernkompetenzen. Sie dürfen pflegetherapeutische Maßnahmen wie beispielsweise eine temperierte Ölkompresse (Bild) zwar eigenständig durchführen, aber nicht darüber eigenverantwortlich entscheiden.

© Geyrhofer

Erschienen in Schmerz Nachrichten 1/2023