Tumor-Schmerzen: Interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie schafft Linderung

21. Österreichische Schmerzwochen: 35 bis 45 Prozent der Krebspatient*innen leiden schon bei Diagnosestellung unter Schmerzen. Die moderne Schmerztherapie von Tumorpatient*innen orientiert sich an der Art der Schmerzen und berücksichtigt die Individualität der Betroffenen.

© Anna Rauchenberger

Schmerzen sind die häufigsten Symptome einer Krebserkrankung und für Tumorpatient*innen sehr belastend. Bereits bei Diagnosestellung berichten 35 bis 45 Prozent der Betroffenen von Schmerzen. Eine Schmerztherapie sollte deshalb von Anfang an integrativer Bestandteil der Krebstherapie sein. Allerdings werden Schmerzen bei Krebserkrankungen häufig unterbehandelt. „Das darf heutzutage nicht mehr sein. Eine interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie kann die Beschwerden von Tumorpatient*innen lindern und deren Lebensqualität deutlich verbessern“, sagt OÄ Dr. Waltraud Stromer, Präsidentin der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG), anlässlich der Österreichischen Schmerzwochen.

Ursachen für Tumorschmerzen

Bei 68 % der Tumorschmerzpatient*innen sind die Schmerzen durch den Tumor selbst bedingt. Ein hoher Prozentsatz leidet an den Nebenwirkungen der Chemo- oder Strahlentherapie. Tumor-assoziierte Schmerzen (z. B. aufgrund von Herpes zoster), die aufgrund der gleichzeitig mit der Krebserkrankung auftretenden Immunschwäche entstehen, verzeichnen rund 10 % der Betroffenen. Die Patient*innen können jedoch auch an Schmerzen leiden, die vom Tumor und der Therapie unabhängig sind und schon vor der Krebserkrankung bestanden haben (z. B. Arthrose).

Unterschiedliche Schmerzarten

Für eine erfolgreiche Schmerztherapie muss zunächst herausgefunden werden, an welcher Art von Schmerzen die Tumorpatient*innen leiden: Nozizeptiv-somatischer Schmerz entsteht bei der Schädigung von nicht-neuronalem Gewebe, etwa wenn ein Tumor in Weichteilgewebe einwächst, und ist auf die Aktivierung von Nozizeptoren zurückzuführen. Nozizeptiv-viszeraler Schmerz der inneren Organe wird ebenfalls durch Tumorwachstum oder Metastasierung ausgelöst. Unter den sehr starken neuropathischen Schmerzen leiden rund 20 % der Tumorpatient*innen. Sie entstehen, wenn das periphere oder zentrale Nervensystem geschädigt wird. „Mixed Pain“ wird eine Schmerzform genannt, bei der unterschiedliche Schmerzarten gemeinsam auftreten. Rund 40 bis 50 % der Tumorpatient*innen sind von Mixed Pain betroffen.

Noziplastische Schmerzen erklärt die Pathophysiologie als veränderte Nozizeption infolge einer Modulation der Reizverarbeitung. Eine „somatoforme Schmerzstörung“ ist durch andauernde quälende Schmerzen über mehrere Monate gekennzeichnet, für die keine körperliche Ursache gefunden werden kann.

Medikamente nach Schmerzart auswählen

Eine Leitlinie für die medikamentöse Therapie von Tumorschmerzen bot das 1986 erstmals erstellte Stufenmodell der WHO. Demnach werden auf Stufe I, bei geringer Schmerzstärke, zentral wirksame Nicht-Opioide (Metamizol, Paracetamol) und NSAR zur Schmerzlinderung gegeben. Bei Stufe II (mittlere Schmerzstärke) werden die Medikamente der ersten Stufe mit schwachen Opioiden und bei Stufe III (starke Schmerzen) mit starken Opioiden kombiniert. Aktuell setzt sich jedoch mehr und mehr ein sogenanntes „Mechanismen-basiertes“ Modell durch, das sich bei der Wahl der Therapie an der vorliegenden Schmerzart orientiert. „Die Schmerzstärke und Wirkstärke des gewählten Analgetikums wird nach wie vor berücksichtigt. Aber wir gehen nicht mehr so streng von Stufe I bis III vor. Es kann auch gleich mit Opioiden der Stufe III mit einer anfänglich geringen Dosierung begonnen werden, damit die Patient*innen so rasch wie möglich wieder Lebensqualität erreichen“, sagt Dr. Stromer.

Die medikamentöse Schmerztherapie von Tumorpatient*innen umfasst eine große Palette unterschiedlich wirksamer Schmerzmittel bzw. Kombinationen von Analgetika. Welche Medikamentengruppe zum Einsatz kommt, ist auch von den Komorbiditäten der Patient*innen und der notwendigen Begleitmedikation abhängig. Zudem beeinflussen Einnahmeform und zu erwartende Nebenwirkungen des jeweiligen Analgetikums die Auswahl. „Wir müssen darauf achten, ob die Patient*innen überhaupt ein Medikament greifen, zum Mund führen und schlucken können oder ob sie mit einem Schmerzpflaster umgehen können“, erklärt Dr. Stromer.

Ausschlaggebend für die Medikamentenwahl sollten aber vor allem der vorliegende Schmerztyp und der zugrunde liegende Mechanismus sein. Schmerzen aufgrund von Knochenmetastasen können auch als Mixed Pain in Erscheinung treten, der nicht nur mittels NSAR bzw. Nichtopioiden behandelt wird, sondern bei vorhandener neuropathischer Schmerzkomponente auch mit einer antineuropathischen Medikation (z. B. SNRI, TZA, Antikonvulsiva wie Pregabalin oder Gabapentin). Auch Strahlentherapie kann zum Einsatz kommen und je nach Indikation sollen die Biphosphonate bzw. RANK-Liganden wie Denosumab verwendet werden. Bei starken Schmerzen kommen entsprechend ausgewählte Opioide dazu.

Bei neuropathischen Schmerzen wie einer Post-Zoster-Neuralgie oder Chemotherapie-induzierten Neuropathie kommen ebenso Antikonvulsiva (Pregabalin, Gababentin) und Antidepressiva wie auch eine lokal topische Behandlung mit Lidocain bzw. Capsaicin um Einsatz.

„Um den Schmerz kontinuierlich zuverlässig zu unterdrücken, ist es wichtig, die Medikamente nicht erst beim Auftreten des Schmerzes einzunehmen, sondern regelmäßig, entsprechend der jeweiligen Wirkdauer“, sagt ÖSG-Generalsekretär Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar. Da sich mit dem Fortschreiten der Krankheit die Schmerzsymptomatik verändern kann, müssen die Patient*innen beständig kontrolliert und die Schmerztherapien angepasst werden. „Mit der Mechanismen-basierten Schmerztherapie können bei bis zu 90 % der Tumorpatient*innen die Schmerzen gelindert werden“, sagt der Experte.

Wenn diese systemischen Therapieverfahren zur Schmerzreduktion nicht mehr ausreichen, die Tumorpatient*innen unter stärksten Schmerzen leiden und die Nebenwirkungen der Medikamente intolerabel sind, können von erfahrenen Schmerzspezialist*innen invasive Therapieformen – wie epidurale und intrathekale Therapieverfahren – angewendet werden. Weiters können auch chemische Neurolysen durchgeführt werden wie die Plexus-coeliacus Neurolyse beim Pankreaskarzinom. Sind periphere Nerven in den Tumor infiltriert, können auch periphere US-gezielte Nervenblockaden durchgeführt werden und anschließend thermische oder chemische Neurolysen.

Nicht-medikamentöse Behandlungsmethoden

Neben den medikamentösen Behandlungsmethoden gibt es zahlreiche nicht-medikamentöse Behandlungsverfahren, die in der Tumorschmerztherapie Anwendung finden. Dazu zählen unter anderem Strahlentherapie, transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS), psychosomatische Therapieansätze, Verhaltens- und Bewegungstherapie, physikalische Therapieansätze, Akupunktur und operative Verfahren.

Therapie in vier Dimensionen

„Eine optimale Tumor-Schmerztherapie berücksichtigt alle vier Dimensionen, die das Menschsein ausmachen“, betont Dr. Stromer. Die physische Dimension ist der rein körperliche Schmerz. Der soziale Schmerz umfasst die Auseinandersetzung der Patient*innen mit ihrem Umfeld. So können etwa finanzielle Abhängigkeiten und Autonomieverlust gegenüber der Familie sozialen Schmerz auslösen. Zorn, Depression und Verzweiflung sind häufig die Ursachen psychischer Schmerzen. Der spirituelle Schmerz ist oft mit Ängsten verbunden, etwa den Sinn des Lebens zu verlieren. „Das bedeutet, dass die Schmerztherapie von Tumorpatient*innen sehr komplex ist und es ein erfahrenes, kompetentes Behandler*innenteam braucht, um den Patient*innen individuell abgestimmt helfen zu können“, sagt Prof. Likar.

Bericht: Dr. Stefan Wolfinger

Weiterführende Literatur:

Stromer W, Likar R. Therapie von Tumorschmerzen. Schmerznachrichten Spezial. Jahrgang 21, September 2021. Springer Verlag

Erscheint in den Schmerz Nachrichten 3/22


21. Österreichische Schmerzwochen

Seit über zwanzig Jahren informiert die ÖSG mit einer jährlichen Kampagne über die neuesten Entwicklungen in der Schmerzmedizin, klärt über das verfügbare Behandlungsspektrum auf und sensibilisiert politische Entscheidungsträger*innen für Notwendigkeiten und Defizite in der Schmerzversorgung.

Inhaltlich orientieren sich die 21. Schmerzwochen am diesjährigen Motto der International Association for the Study of Pain (IASP): „Translating Pain Research to Practice”.


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